Marokko 2020
Freitag, 28.02.2020, Ruhetag in Telouete
Heute morgen bin ich körperlich richtig erschöpft und spüre den gestrigen Tag deutlich. Es fällt mir nicht leicht zu entscheiden, was ich heute will, weiterfahren oder bleiben. Also ziehe ich Bilanz. Gestern war doch sehr anstrengend, vor allem der Abstieg vom 2.500-m-Pass, fast nur schieben, sofern man das Abwärtsgestolpere mit dem Rad über große Blöcke und jede Menge Geröll so nennen kann. An jedem Fuß hab ich eine aufgeriebene Stelle, die brennt. Außerdem hab ich mir auf der Stirn einen Sonnenbrand eingefangen. Das führt zum Schluss, ich bleibe noch ne Nacht, um mich zu erholen. Auch, um mir Zeit zu nehmen für mich, weg zu kommen vom Ich-muss-weiter. Das hatte mich die letzten beiden Tage im Griff, denn ich musste irgendwann ja wieder ins Tal. Ich will auch die Kasbah, die mich vorletztes Jahr verzauberte, in Ruhe besichtigen, schreiben, meine beiden Platten Schläuche flicken. Schnupfen und Husten wollen auch weiter auskuriert werden. Und am wichtigsten, wie gesagt, zu mir kommen, in den Genuss kommen, Zeit nehmen, den Moment genießen, mich mit meinem Herzen verbinden und das Land mit meinem Herzen wahrnehmen. Gerade nicht so leicht.
Ich besuche die Kasbah Telouet, die mir vor zwei Jahren so ans Herz gewachsen war und mir tiefe Erkenntnisse gebracht hat. Egal was mein Gegenüber, ein geliebter Mensch tut oder nicht tut, was ich wahrnehme, Geschenke oder Mangel, sind Projektionen meines Inneren. Und wenn ich diese auf mich zurückbeziehe, spiegele, kann ich aus der Wahrnehmung meines Gegenübers Überraschendes und Neues über mich selbst lernen. Zugleich kann ich meine Gegenüber genauso sein lassen, wie es ist. Denn alles, was ich in ihm sehe, ist in mir und dort kann ich es liebevoll annehmen, nähren und sich entwickeln lassen.
Durchs Dorf spaziere ich hin, frage ein altes Mütterchen nach dem Weg. Die Anlage besteht zu einem großen Teil aus Ruinen. Ein Teil ist renoviert und kann besichtigt werden. Was macht diesen Ort so besonders? Vielleicht das Marode, Verfallene, die lange Geschichte, die darin zum Ausdruck kommt. Dazu der starke Kontrast mit den wunderschön verzierten Innenräumen. Die wundervolle Aussicht auf den Ort, die Umgebung, die fernen Berge? Die schöne Lage auf einem kleinen Rücken in der Hochebene?
Ich bin auch diesmal angerührt und fühle mich wohl, komme zu mir. Fast noch mehr verhilft mir dazu, als ich später auf der Terrasse meines Hotels meine Fotos sichte. Wow, da hab ich ja schon viel Wundervolles gesehen und will noch mehr in den Genussmodus kommen. Genau! Ich spüre, der Ort hilft mir dabei und ich verstehe, dass das Ankommen bei mir und in diesem wundervollen und spannenden Land etwas Zeit und Geduld braucht.