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Kirgisistan 2021 - Song Kul

Mittwoch, 30. Juni 2021

Zum Song Kul, 16 km, 500 Höhenmeter

Gestern abend bekam ich noch Besuch. Ein kleiner, klappriger Geländewagen kam den Weg das kleine Seitental hoch. Der Kirgise fährt vor dem Häuschen vor und kommt dann zu mir. Er spricht sehr laut und druckvoll und ich verstehe nicht viel. Das Häuschen ist seins. Er winkt mich mitzukommen und gemeinsam laden wir aufgestapelte Dungplaggen in den Wagen. Dann rauchen wir noch eine Zigarette zusammen und trinken Wodka, mein erster auf dieser Reise. Dafür muss meine Blechtasse herhalten. Erst schenkt er mir ein und ich trinke einen Schluck. Dann soll ich ihm einschenken und er trinkt auf ex und spuckt noch ein Schlückchen wieder aus. Das ganze dann nochmal. Der Wodka schmeckt eher mild und dröhnt zum Glück nicht so. Er hat oben am Song-Kul fünf Jurten, soviel verstehe ich.

 

Dann macht er mir noch Angst vor Wölfen und macht eine Fratze untermalt von passender Gestik. Er fragt mich, ob ich ein Gewehr hätte. Als ich verneine, schüttelt er den Kopf. Ich bin doch etwas verunsichert und lege meine „Waffen“ bereit: ein Opinel und eine Trillerpfeife und mein Kopflicht. Es will aber kein Wolf an mir rumknabbern oder an meinen Vorräten.

 

Das letzte Stück zum Tjibel-Pass auf 3.227 m ist steil. Ich muss 550 Höhenmeter rauf und das auf 3,5 km. Das sind im Mittel 15 %. Es fahren aber auch normale PKW auf der Straße, also wird es irgendwie gehen. Ich mache eine Atemübung draus: je nach Steigung zehn bis zwanzig Einatmungen schieben, sprich die Atemenergie in Beine und Arme lenken, dann 10 Atemzüge stehen und schön entspannen. So komme ich langsam aber sicher voran und habe den Pass nach dreieinhalb Stunden erklommen.

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Das Land fällt zum See in weiten, flachen Wellen ab. Es sind noch rund 10 km dorthin über Weideland mit vielen kleinen Blümchen. Vereinzelt stehen Jurten rum. Überraschung: es gibt massenhaft Edelweiß, nach dem Gras sicherlich die zweithäufigste Pflanze. Wie ich später noch lerne, heißt sie auch auf kirgisisch „Edelweiß“.

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Am Ufer angekommen werde ich vor der ersten größeren Jurtenansammlung von zwei kleinen Mädchen angesprochen, die mir ihre Namen verraten. Zwei junge Frauen kommen dazu und ich bekomme etwas zu essen. Das passt prima, denn ich habe ordentlich Kohldampf. In einer der Jurten darf ich warten. Sie ist wunderschön mit bunten Tüchern und Teppichen ausgekleidet.

Das Essen gibt es in der nächsten Jurte, genauso schön. Hier mag ich bleiben. Die junge Frau, Ardak, leistet mir Gesellschaft. Sie spricht ganz gut englisch und hat viele Fragen. Auch ich lerne einiges von ihr: sie studiert auf Lehramt und will Kirgisische Sprache unterrichten. Sie ist 20 Jahre alt, hat fünf Geschwister und würde gerne nach Deutschland und in die Schweiz reisen. Ihre Familie hat 4 Kühe, 20 Ziegen, 30 Schafe und ein Pferd. Dazu noch ein Esel als Spielgefährte für die Kinder, den sie ziemlich rabiat mit einem Stock traktieren, damit er Stoff gibt. Die 4 Kühe geben 20 bis 30 Liter Milch am Tag.

Nach dem Essen mache ich einen Spaziergang zum See und gehe auch ins Wasser. Es ist erstaunlich warm, aber leider muddelig am Ufer und nicht tief. Zum Waschen reicht es aber.

 

Als ich zurück bin, reiche ich meinen Shiatsu-Handzettel rum. Talgot, ich schätze mal der Schwager, hat Lust und danach auch noch Ardak, die auch viele Fragen zu Shiatsu hat.

Donnerstag, 1. Juli 2021

Song Kul

Das Schöne am Song Kul ist nicht eine beeindruckende, kontrastreiche Landschaft, sondern eher die Weite, Ruhe und Friedlichkeit, die die Seefläche, die saftigen Weiden mit den Tieren und Jurten und die das Ganze umkränzende Bergkette ausstrahlt. Es ist windstill, der Himmel ist blau, etwas diesig.

 

Die Ruhe wird deutlich an den Geräuschen, die zu hören sind. Wiehern, Grummeln, Schnauben und Galoppieren von Pferden, muhende Kühe, wie sie Gras rupfen in der Nähe. Irgendwo ein Schwarm kreischender Krähen. Summende Insekten. Gelegentlich rufende Menschen, Kommandos von Hirten, klapperndes Geschirr, spielende Kinder. Auto kam hier gestern erst einmal eins durch. Genauso wenig wie Internet gibt es irgendwelche Maschinen oder Aggregate. Eine handbetriebene Zentrifuge zum Abtrennen der Sahne ist das höchste, was ich zu Gesicht bekomme.

Ich bleibe noch einen Tag, um diese besondere Atmosphäre zu genießen, und frage Ardak, wohin ich schön spazieren könnte. Sie sagt, wir könnten zusammen gehen, sie wolle mit ihren Eltern telefonieren. Dazu muss sie auf einen Pass hoch, um Empfang zu haben. Sie reitet voran, ich spaziere hinterher durch ein hübsches Tal mit vielen bunten Blumen.

Abends kommt Ardaks Vater und ihr älterer Bruder mit Familie zu Besuch. Ich werde zum Essen eingeladen, ein sehr einfaches, aber leckeres Mahl. Ich zähle sechs Erwachsene, mit mir, und fünf Kinder. Dabei bin ich wohl noch etwas älter als der Vater. Die Älteste der Kinder, 10 Jahre alt, ist sehr aufgeweckt und selbstbewusst. Mit Hilfe ihrer Tante löchert sie mich mit Fragen auf englisch.

Freitag, 2. Juli 2021

Rund um den Song Kul, 40 km, 500 Höhenmeter

Der Abschied fällt mir etwas schwer von den netten Familie, von Ardak, den knuffigen Kindern und den schönen Jurten. Wir machen noch Abschiedsfotos und ich fahr los, zunächst in anspruchsvollem Auf und Ab zu sehr schönen Buchten, natürlich mit Jurten und Viehherden. Sieht aber nicht touristisch aus. Ich bade kurz im See, der mir heute doch recht frisch vorkommt. Bei einer großen Bucht, die mit einer Nehrung abgeschlossen ist, quere ich über diese den doch gut knietiefen Abfluss.

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Weiter geht es am jetzt flach ansteigenden Südufer. Es hat sich zugezogen und vereinzelt grummeln Gewitter, ich fahre jedoch noch lange in der Sonne. Da zieht ein Gewitter näher und ich eile zu einer Jurtengruppe. Es zieht jedoch weiter und so mach ich es auch. Doch nein, kommt es etwa zurück? Der Wind hat gedreht und es fängt an zu regnen.

 

Da kommt ein Hirte mit seinen Pferden auf mich zu. Er lässt die Pferde laufen und führt mich zu seiner Jurte. Er stellt sich als „Vandamme“ vor und lacht sich dabei kaputt, schlägt mir vom Pferd herunter auf die Schulter. Ein sehr lustiger Kerl, der in jedem zweiten Satz herzerfrischend lacht, gerne über unsere Verständigungsschwierigkeiten oder auch über seinen kleinen Sohn. Er ist 47 und hat auch Erwachsene Kinder, die studieren. Es gibt Tee und Brot mit Marmelade, abends dann noch Kartoffeln mit etwas Zwiebeln und Soße, größer ist die Auswahl nicht. Nichtsdestotrotz eine lebenslustige Familie.

Ich darf alleine in der schönen Jurte schlafen. Ich nehme an, sie ist für Touristen gedacht. Die Familie schläft in der bescheidenen Hütte daneben.

Samstag, 3. Juli 2021

Weiter um den Song Kul und über den Moldo Ashuu, 70 km, 500 Höhenmeter

Es sind noch knapp 200 km bis Naryn und ich umrunde den Song Kul weiter. An der Brücke über den Seeabfluss treffe ich auf Daniel, meinen ersten Reiseradler. Er stammt aus Ungarn, wird in wenigen Tagen 31 und will nach Osh. Wir beschließen, ein Stück zusammen zu radeln.

Ich spüre schnell, wie sich meine Wahrnehmung verändert. Ein Teil bezieht sich jetzt auf ihn und es bleibt etwas weniger für mich und auch die Umwelt tritt etwas zurück. Ich beobachte das interessiert und bin gespannt, wie sich das entwickelt. An einem Jurtencamp geh ich etwas essen. Er zieht jedoch noch weiter. Wir treffen uns später wieder und radeln den Moldo-Ashuu-Pass auf 3.238 m hoch. Auf der anderen Seite geht es steil bergab über beeindruckende Serpentinen. Wir suchen uns einen Zeltplatz und kochen zusammen am Lagerfeuer.

Auch wenn ein Teil meiner Aufmerksamkeit von mir weggeht, so komme ich doch durch den angenehmen Austausch und die Gesellschaft mit ihm spürbar besser bei mir an und ziehe frische Energie daraus.

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