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Kirgisistan 2021

Auf dem Weg zum Song Kul

Samstag, 26. Juni 2021

Über den Karakol-Pass ins Karakol-Tal oder Shiatsu in der Jurte, 30 km, 400 Höhenmeter

Schnee liegt morgens keiner vor dem Zelt, aber teilweise ist der Regen auf ihm gefroren. Etwa 100 m höher ist alles in weiß getaucht. Darüber schweben rosa Morgenwolken.

Ich schleppe mich, meist schiebend, die verbleibenden 500 Höhenmeter bis zum Pass hoch. Mein Kreislauf ist immer noch schlapp. Wenn ich nach einer Anstrengung stehen bleibe, wird mir erstmal schwindelig, so wie ich das kenne, wenn ich vor einem Bücherregal aus der Hocke aufstehe. Ich denke, es geht teils auf die Höhenluft, teils aber auch auf die Aufregung zurück. Solche Pässe wie vorgestern und auch der heute sind einfach zu anstrengend und machen nicht so richtig Spaß. Was aber passt zu meiner Kondition und lässt mich die Zeit hier genießen – das bleibt im Ungewissen.

Als ich endlich oben auf der Passhöhe bin, liegt da ein großes Schneefeld quer über der Straße. Es ist mega anstrengend, es zu umgehen. Der Pass hat wenig schönes zu bieten. Der Himmel hat sich zwischenzeitlich zugezogen und es weht ein kalter Wind. Auf der anderen Seite geht es aber eine gut fahrbare Schotterstraße ins weite, nur langsam abfallende Karakoltal. Es wirkt alles etwas grau und unspektakulär, bis ich eine Pferdeherde auf einer bunten Blumenwiese am Fluss stehen sehe. Idylle pur, denke ich mir. So richtig kommt das Gefühl aber nicht in meinem Herzen an. Warum nur? Die Kälte, der graue Himmel, die Ungewissheit, wie es weitergehen soll, die weite Einsamkeit – es geht fast 100 km das Tal lang, bis wieder ein Ort kommt.

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Während ich so mit mir und meiner Tour hadere, winkt es von einem kleinen Hügel von einer Jurte. Ich biege ab und treffe auf Timur, der mich zum Chai einlädt. Er hatte mir gestern schon zugewunken, als ich vor meinem Zelt saß. Er hat mit Adelet und einem weiteren Freund die Pferdeherde von Adelet von Bishkek hierher ins Suusamyrtal getrieben. Auf demselben Weg, den ich geradelt bin. Heute haben sie die Jurte aufgebaut. Auch Adelets Eltern und seine beiden Söhne sind da.

Jetzt sitze ich in der Jurte, die Mutter schenkt Tee ein und alle zusammen essen Salat aus einer Schüssel. Dazu gibt es Brot und Butter. Alles sehr lecker. Timur ist der Typ Kirgise, die mir sehr sympathisch sind: nicht nur freundlich und zugewandt, er hat auch einen tollen Charme und ist ein zupackender Typ. Außerdem spricht er etwas englisch. Er ist etwa Anfang 30, hat studiert, sei Manager, aber ohne Job. Daher arbeitet er als Fahrer. Er hat eine Frau und zwei kleine Kinder und lebt in Bishkek.

Ich hole meinen Shiatsu-Handzettel aus meinem Gepäck und zeige ihn ihm. Der Vater von Adelet hat Rückenschmerzen und legt sich bereitwillig hin. So eine Jurte ist ideal für Shiatsu. Der Klient liegt direkt auf der Erde, auf mehreren Schichten Teppichen und Decken. Es ist warm und geschützt, das Licht ist gedämpft.

Ich bin sehr gerührt, dass ich hier Shiatsu geben darf und die Menschen so offen dafür sind. Das gibt meiner Reise einen Sinn, über den ich noch vor einer Stunde rumgegrübelt habe. Schon hat das Schicksal mir unter die Arme gegriffen. Es hilft mir, hier in diesem fremden Land und bei seinen Menschen anzukommen und damit auch bei mir anzukommen. Es ist schön, den Menschen etwas Gutes tun zu können, und mir fällt es leichter, die großzügige Gastfreundschaft anzunehmen.

Nach dem Vater ist gleich noch Nurel, der 10-jährige Sohn von Adelet, dran. Auch er hat Rückenscherzen und wirkt außerdem zurückgezogen, anders als sein jüngerer Bruder, der Kung-Fu-Bewegungen ausführt, mit der Peitsche knallen übt, mein Shiatsu nachmacht, aber auch seiner Oma bereitwillig hilft beim Kochen.

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Auf dem Kohleofen bruzzelt schon seit Stunden Hammelfleisch. Auch eine Pferdewurst ist dabei. Es riecht entsprechend und ich hab richtig Appetit darauf. Irgendwann ist es soweit und Adelet bestimmt, dass das Fleisch gar ist. Mit Timur zusammen schnipfelt er das Fleisch klein und verteilt schon mal Kostproben an alle, auch einige weitere Gäste von umliegenden Jurten. Die Frau vom dritten Freund kocht Nudeln. Diese werden mit dem Fleisch und geschmelzten Zwiebeln vermischt. Am besten geht das alles mit bloßen Händen und so wird das leckere Mahl auch verspeist, etweder von einem eigenen Teller oder auch von Gemeinschaftstellern, die auf der schicken Sonntagsplastikdecke in der Mitte der Jurte stehen. Rund 15 Personen hauen sich den Bauch voll, schmatzen ausgiebig und unterhalten sich lebhaft, wovon ich so in etwa gar nichts verstehe.

Dann gibt es noch Chai und irgendwann verziehen sich die Gäste. Ich nehme an, es war das Begrüßungsmahl zur Ankunft der Familie im Tal. Die Mutter bereitet die Schlafstätte vor. Mehrere Decken werden übereinandergelegt. Ich bekomme einen Platz am Rand und schlafe prima.

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Sonntag, 27. Juni 2021

Das Karakoltal hinab und durch die Kokomerenschlucht bis Kyzyl-Oi, 100 km, 1.300 Höhenmeter runter

Erst um acht stehen alle auf. Scheint ganz entspannt, so ein kirgisisches Hirtenleben. Die 76 Pferde von Adelet weiden irgendwo ganz alleine rum. Das Frühstück ist sehr einfach: Chai, Brot und Butter. Ich verabschiede mich von dieser lieben Familie und radle das schöne Tal unter strahlend blauem Himmel hinab. Es neigt sich in leichten Wellen bergab und abgesehen von ein paar giftigen Gegenanstiegen rollt es gut, vorbei an weiteren Jurten, Pferde-, Kuh- und Schafherden, bunten Blumenwiesen. So macht Radfahren in Kirgisistan Spaß.

Der Anfangs noch leicht kühlende Gegenwind wird immer wärmer. Wolkenbildung und Niederschläge, wie die ganzen letzten Tage, bleibt heute aus. Ich werde noch einmal von ausgelassenen Partyleuten vom Yssyk-Kul, die hier das Wochenende verbringen, zum Wodka eingeladen, den ich ablehne. Ein Stück weiter dann zum Kumyz, angegorener Stutenmilch, dem Nationalgetränk Kirgisistans. Es schmeckt ungewöhnlich, etwas säuerlich und wie angeräuchert, etwas beißend. Nicht schlecht aber gewöhnungsbedürftig.

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Nach unten hin zieht sich das Karakoltal endlos. Doch endlich biege ich auf die Hauptstraße, von Bishkek kommend ab. Meine Befürchtung, dass es hier viel Verkehr geben könnte, bewahrheitet sich nicht. Dafür ist die Straße nicht geteert und in einem bedauernswerten Zustand. Ich bin froh über meine dicken Reifen, die Federsattelstütze und den Brookssattel.

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Der Kokomerenfluss, in den der Karakol fließt, ist reißend und breit. Er fließt erst durch eine schöne Hochebene und dann durch ein steiles, schluchtartiges Tal. In Kyzyl-Oi hat das CBT-Touristenbüro schon zu. Es ist auch schon acht. Ich mache mich auf die Suche nach einem Zimmer und lasse mich von einem Kirgisen abschleppen. Doch das Zimmer gleicht einem Abstellraum und gefällt mir gar nicht. Der Kirgise hängt sich ans Telefon und ein Junge mit Rad begleitet mich zu einem anderen Guesthouse. Das Zimmer gefällt mir gut und die junge Frau ist freundlich. 8 Euro mit Frühstück und warmer Dusche. Abendessen? Dafür sei es schon zu spät. Aber sie könne mir Bratkartoffeln machen. Das sei dann umsonst. Echt jetzt? Alles klar! Zu den Bratkartoffeln gibt es noch leckeren Salat, Brot und Tee. Genau das Passende.

Montag, 28. Juni 2021

Von Kyzyl-Oi nach Chaek, 45 km

Nachdem ich gestern bis acht Uhr abends unterwegs war, will ich es heute ruhig angehen lassen. So langsam werde ich etwas cooler und bin nicht mehr so aufgeregt, was der Tag so bringen wird. Nach einem gemütlichen Frühstück packe ich mein Zeug zusammen und stelle fest, dass ich an einer Ortlieb-Tasche eine Schraube verloren habe. Das war mir letztes Jahr in Marokko schon passiert. Für Rüttelpisten sind die nicht gebaut. Ich habe vorgesorgt und nicht nur Ersatzschrauben dabei, sondern auch das passende Werkzeug, ein 15er Torx, der an Standard-Multitools nicht dabei ist. Echt keine Glanzleistung von Ortlieb. Vorsichtshalber ziehe ich die Schrauben an allen Taschen nach und los geht’s.

Zunächst weiter auf der Rüttelpiste die Kokomeren-Schlucht hinab. Interessante Felsformationen und Gesteinsfarben unterhalten mich bei der Fahrt. Irgendwann öffnet sich schließlich die Schlucht zu einer weiten Ebene, umgeben von hohen Bergen. In den Kokomeren mündet der Djumgal, dessen Tal ich nun aufwärts folge. Vorher plausche ich noch mit Burak, einem gut gelaunten jungen Türken, der seit ein paar Wochen durch Kirgisistan trampt und nun unterwegs nach Djalalabad und Usbekistan ist.

Die Straße ist jetzt geteert, es fahren aber trotzdem nur sehr wenige Fahrzeuge drauf. In einem kleinen Ort wird sie sogar vierspurig, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen ist. Musste da dringend jemand den Plan übererfüllen? Ich schaue mir die schönen, bunten Berge in der Ferne, muslimische Friedhöfe und die Häuschen am Straßenrand an. In Chaek finde ich eine passable Unterkunft, wieder acht Euro mit Vollverpflegung.

Dienstag, 29. Juni 2021

Von Chaek Richtung Song Kul, 50 km, 1.200 Höhenmeter

Die Unterkunft war nicht so pralle, ging aber okay. Bei einer freundlichen Verkäuferin kaufe ich noch Wasser und Saft für unterwegs und mache mich auf den Weg zum Song Kul. Die Straße ist super breit, aber nur selten asphaltiert. Hier soll eine neue Nord-Süd-Verbindung von Bishkek nach Djalal-Abad entstehen. Das wird ne Mördertrasse und „China“ mischt da wohl ordentlich mit. Teilweise wird auch dran gewerkelt, vermessen, LKW mit Baumaterial aus Steinbrüchen an der Trasse beladen. Ein System kann ich jedoch nicht erkennen. Weite Teile haben Waschbrettoberfläche und es ist mühsam, eine brauchbare Fahrlinie zu finden.

 

Das Tal des Djumgal ist sehr weit und die Berge, die den Song Kul beherbergen, kann ich nur in der Ferne erahnen. Es gibt Einiges rechts und links der Strecke zu gucken: muslimische Friedhöfe, Grabmale, urige, alte Karossen, bunte Felder. So genieße ich das dahinradeln, gewinne langsam an Höhe und hab so langsam auch meine innere Ruhe gefunden. Ich werde nicht mehr so von Sorgen und Ängsten geplagt, sondern bin neugierig, offen, ruhig und denke nicht daran, was alles Schlimmes passieren könnte. Dafür bin ich sehr dankbar.

Nach dreißig Kilometern kommt der Abzweig zum Song Kul. Einspurige Schotterpiste, nur noch sehr selten mal ein Fahrzeug. Es geht erst über eine flach ansteigende Ebene mit Steppencharakter, spärlichem Grasbewuchs. In der Ferne taucht an den Bergen ein Taleinschnitt auf und in den geht es rein. Ein wunderschönes kleines Tal, saftig grün, ein kleines Bächlein, langsam ansteigend, so dass ich es gut fahren kann. Eine Orchideenwiese taucht auf.

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Ein schicker weißer Geländewagen mit Camperaufbau holt mich ein und hält an. Zwei freundliche Franzosen aus Annecy lachen mich an und wir tauschen uns aus. Der Wagen ist seit zwei Jahren im Land und der bekommt ihn wegen Corona nicht mehr raus, da alle Grenzen außer der nach Usbekistan dicht sind.

 

Über den Tag haben sich über den Bergen dicke Wolken angesammelt. Jetzt zieht es sich so langsam zu und ich halte Ausschau nach einem Zeltplatz, den ich in einem kleinen Seitental finde. Dort steht auch ein kleines Steinhäuschen, scheint also kein schlechter Ort zu sein. Während ich das Zelt aufbaue, fängt es an zu donnern und dicke Tropfen fallen, von denen ich einige abbekomme, bevor ich all mein Gepäck ins Zelt verfrachtet habe.

 

Bald kommt schon wieder die Sonne durch, ich betreibe etwas Körperpflege und koch mir noch ein scharfes, asiatisches Fertigsüppchen.

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