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Kirgisistan 2021 - Über Kel Suu und Tash Rabat nach Baetov

Donnerstag, 29. Juli 2021

Auf dem Weg zum Kel-Suu, 65 km, 1.500 Höhenmeter

Auf breiter, sauber asphaltierter Straße fahre ich raus aus Naryn und über einen unspektakulären Bergrücken. Die Straße führt zum Torugart-Pass, dem Grenzübergang zu China und wird auch „chinesische Autobahn“ genannt. Der Verkehr hält sich für so eine schicke Straße sehr in Grenzen. Der Grund dürfte in der geschlossenen Grenze zu China liegen.

Auf der anderen Seite des Rückens darf ich endlich wieder auf Schotter fahren und komme in ein weites Tal. Im letzten Dorf mit kontaktfreudigen Einwohner*innen kaufe ich nochmal ein. Dann geht es durch das reizarme, monotone Tal langsam bergauf. Ein SUV überholt mich, hält an und der Fahrer nimmt mich mit Teleobjektiv ins Visier. Darauf hab ich keinen Bock, zieh meine Mütze tief ins Gesicht und zeige „Daumen unten“. Er tut so, als würde er nicht verstehen, macht „Daumen unten“, „Daumen oben“, zieht die Schultern hoch und fotografiert weiter. Voll daneben, finde ich, und setze meinen Mittelfinger ein. Er hört auf zu fotografieren, setzt sich in sein Auto und fährt in dem Moment ab, als ich neben ihm bin. Ein Tourist, nehme ich an.

Links und rechts von mir in den Bergen grollen Gewitter. Ich bekomme aber nur ein paar Tropfen ab und ganz kurz kommt auch mal die Sonne durch. Irgendwann quert die Straße den Fluss und biegt in ein Seitental ab. Es geht den nächsten Pass auf 3.400 m hoch. Die Landschaft ist jetzt wieder etwas gefälliger, grüne, sanfte Berglandschaft, trotz der Höhe. Das Tal ist allerdings nicht ganz flach. Ich will heute noch etwas höher, vertraue meinem Riecher und finde eine kleine Miniterrasse für mein Zelt. Sogar Wasser fließt im Bach, auf nur rund 20 m. Sonst ist hier eher alles ausgetrocknet.

Freitag, 30. Juli 2021

Zum Kel-Suu-Jurtcamp oder innere und äußere Öde, 80 km, 1.000 Höhenmeter

Die ganze Nacht hat es geregnet und auch jetzt am Morgen regnet es noch. Regen am Morgen, das hatte ich noch nie hier in Kirgisistan. Und auch heute hört es um sieben auf und ich kann los, leider gleich steil bergauf. Das ist am Morgen nicht so mein Ding und so keuche ich bis zum Kindi-Pass, 3.400 m. Dort ist eine Kontrollstation für die grenznahe Region und ich darf meine Genehmigung vorzeigen. Danach wird die Landschaft wieder öde und langweilig. Nur ganz in der Ferne sind hohe, schneebedeckte Berge. Der Himmel ist grau.

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Ich hab nicht so richtig Lust aufs radeln und frage mich, warum ich mir in Naryn nicht eine Tour zum Kel-Suu und Tash Rabat gebucht habe. Das hätte ich doch echt mal verdient, mich kutschieren lassen, keine Gedanken, ob das Essen und Trinken reicht, wo ich schlafe. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Dann treffe ich auch noch einen Mopedfahrer aus Deutschland, wir unterhalten uns und ich finde es durchaus attraktiv, mal am Gashahn drehen zu können und schnell aus so einer Öde rauszukommen.

 

Ist aber nicht. Ich steck mittendrin in der Öde und Langeweile. Also mach ich mal aus der Not eine Tugend und nehme die Ödnis als Spiegel für mein inneres Leben. Da ist natürlich auch viel Ödes, Monotones, Langweiliges. Das will ich da auch nicht mehr haben. So viel Schönes hab ich hier erlebt. So soll mein Leben auch nach meiner Rückkehr weitergehen. Das wünsch ich mir ganz sanft und ich gehe davon aus, dass das auch passieren wird.

Ein Gewitter, das mich voll erwischt, sorgt für Abwechslung. Es kommt genau von vorne. Also dreh ich um und finde einen Unterstand in mehr als halbverfallenen alten Stallungen. Ich bin nicht er Einzige, der diese Idee hatte. Auch ein paar hundert Schafe und Ziegen biegen um die Ecke und wollen unters Dach. Nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Der erste Wachturm entlang der Grenzregion zu China taucht auf. Ich biege Richtung Kel-Suu ab.

Mir geht noch eine Geschichte durch den Kopf, die der Mopedfahrer erzählt hatte. Er wollte am Morgen einen Fluss queren. Die Brücke wurde gerade erneuert, die Straße führte durch eine Furt. Die war allerdings auf Grund der starken Niederschläge in der Nacht sehr tief. Bis zur Hüfte, er hatte es in Unterhose ausprobiert. Die Bauarbeiter halfen ihm und hoben sein Motorrad mit einem großen Schaufellader über den Fluss. Die Stelle hatte er mir auf der Karte nicht zeigen können. Wenn ich da lang käme, würde ich das ja wohl merken.

 

Ich brauchte nicht mehr lange warten. Ich erreichte ein Baustellenschild und eine Behelfsstraße runter zum Fluss. Dort steckte ein kleiner Lada mit ordentlich Schlagseite im Fluss fest. Viele Leute standen drumrum. Ein SUV versuchte, ihn rauszuziehen, vergebens, vier durchdrehende Reifen. Ich fuhr runter zur Furt. Die Leute meinten, ich könnte mit dem Rad neben dem Lada rüber. Ich versuchte es erst nur mit Rucksack – zu tief, fast bis zur Hüfte schon nach einem Meter, und starke Strömung.

 

Vor den Lada hatten sie in der Zwischenzeit noch einen zweiten SUV gespannt. Das Ergebnis das gleiche. Jetzt acht durchdrehende Reifen. Ein Typ meinte zu mir, ich könne mit dem Rad gut über die Brücke. Er wäre da selber rübergelaufen. Die Brücke sei zwei, drei Meter breit. Ich denke, na super und fahr hin. Es gab aber nur das Tragwerk der Brücke. Vier zwanig Zentimeter breite Balken führten rüber, quer darüber Holzstämme, fünf Meter drunter der reißende Fluss. Nein, danke!

 

Also wieder zurück. Es gibt noch eine Alternativroute, die „Old Soviet Road“. Dafür hätte ich wieder weit zurückfahren müssen. Ich schau mir nochmal die Furt an. Der eine SUV versucht es jetzt mit einem anderen Winkel, spitzwinkliger zum Ufer. Und siehe da, er zieht den Lada raus. Aber was macht er jetzt? Er fährt in einem Bogen wieder in den Fluss. Ist der durchgeknallt? Er bleibt mitten im Fluss, zehn Meter oberhalb der Furt stehen. Steckt er fest? Der Lada wird abgekoppelt und der SUV dreht munter einen Kreis im Fluss. Der Fahrer ist der Held!

 

Was ich jedoch auch gesehen habe ist, dass der Fluss weiter oben gar nicht ganz so tief ist. Die Leute palavern in Grüppchen rum. Der Lada darf auslaufen und trocknen. Ich will es wagen, pack erst meinen Rucksack und die beiden leichten Vorderradtaschen und wate durch den Fluss. Nicht ohne, die Strömung, aber machbar. Wieder zurück und die beiden schweren Hinterradtaschen geholt. Zum Schluss das Rad mit dem Rest. Die Strömung drückt sehr gegen das Rad. Mit Mühe schaff ich es rüber, hab mir jedoch zwei blutende Schrammen an den Beinen geholt.

Es bleibt noch Zeit, um es bis Einbruch der Nacht ins Jurtencamp unterhalb des Kel-Suu zu schaffen. Irgendwann überholt mich der SUV. Mir wird freundlich Hilfe angeboten. Ich winke dankend ab. Dann kommt noch der PKW mit den lustigen Kirgisen. Wie haben die das bloß durch die Furt geschafft? Sie sind offensichtlich beeindruckt von meiner Aktion und bieten mir Wodka an. Später treff ich sie im Camp wieder und sie haben gut geladen und sind ziemlich laut. Nicht ganz so mein Fall.

 

Die weite Ebene um das Camp ist überwältigend schön in das Licht der späten Abendsonne getaucht. Was für ein Kontrast zur monotonen Landschaft tagsüber. Eine großartige Entschädigung. Auch das Furten hat wieder meine Abenteuerlust geweckt. Ödnis, was ist das?

 

Im Camp treffe ich auch auf eine Vierergruppe aus Tschechien, die sich übers Internet für diese Reise getroffen haben. Sie sind mit dem am Ufer liegenden Boot auf den Kel-Suu gepaddelt und hatten größte Mühe, bei auffrischendem Gegenwind wieder ans Ufer zurückzukommen. Der See liegt ganz schmal zwischen senkrechten Felswänden und wird von einem Damm gestaut, der bei einem Felssturz entstand. Ich schlaf prima in einem Bett in einer kleinen Jurte. Die das Camp betreuende Familie mit sieben Kindern ist sehr freundlich, die Kinder super aufmerksam. Der Älteste macht mir ein Feuerchen im Kamin. Draußen ist es arschkalt und drinnen schon mollig.

Samstag, 31. Juli 2021

Ausflug zum Kel-Suu

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Nach dem Frühstück spaziere ich gemütlich los, die acht Kilometer zum See. Zum Abschied bekomme ich noch eine Umarmung von Tereza, wie schön. Der Weg zum See ist einfach zu gehen, flach über Wiesen, erst zum Schluss geht es ein Stück hoch auf den stauenden Wall und da liegt er in seiner türkisenen Pracht, Stille und Erhabenheit zwischen den grauen Felswänden, der Kel-Suu.

Ich bin früh dran und mit der Zeit füllt sich das Ufer mit den verschiedensten Gruppen. Es wird sogar eine Einhorn-Badeinsel aufgeblasen, zwei Bikini-Mädels nehmen darauf Platz und werden vom Ufer aus abgelichtet.

Den Rückweg verkürzen mit Tatjana und Maria. Maria ist die Tochter des „Helden der Furt“ vom Vortag, sie hat deutsche Wurzeln und kann gut englisch. Tatjana ist ihre Tante. Die beiden sind fröhlich und unterhaltsam, die Verständigung unkompliziert. Zurück in der Jurte bekomme ich Tee serviert und relaxe.

Sonntag, 1. August 2021

„Old Soviet Road“ oder der stachelige Gruß der Oktoberrevolution

Der Wasserstand in der Furt soll wieder gesunken sein. Trotzdem entscheide ich mich für die Alternativstrecke „Old Soviet Road“. Sie ist Teil des Silk Road Mountain Races. Oben soll die Aussicht toll sein. Und sie stellt eine echte Herausforderung dar, denn sie soll sehr steil sein. Zur Not kann ich ja auch umkehren, denke ich mir.

 

Der Anstieg beträgt 300 Höhenmeter auf rund 1,5 km. Das sind nach Adam Riese rund 20 % Steigung, im Durchschnitt. Meine Navi-App OsmAnd zeigt 21 bis 36 % an. Klar, da ist schieben angesagt. Den unteren Teil kann ich noch einen Rhythmus halten. Doch dann wird es so steil, dass ich manchmal das Rad nur über einen Grashuckel drüberkriege und schon brauch ich wieder ne Pause. Immerhin ist die „Straße“ relativ breit und überwiegend mit Gras bewachsen. Langsam aber sicher komme ich höher.

Bei einer Pause verbiegt sich der Ständer. Das Rad stand recht schräg. Ist aber auch schwer, in dem Gelände einen guten Stellplatz zu finden. Schöner Mist. Ich biege das Ding mehr oder weniger wieder zurück. Auf halber Strecke stelle ich mir die Frage, warum ich mir das antue. Es ist schon sehr anstrengend. Die Steigung dürfte teilweise bei 30 bis 40 Prozent liegen. Ich weiß, ich schaffe das, wenn auch langsam. Es kommt aber kein Stolz, kein Gefühl von Ehrgeiz, keine Abenteuerlust in mir auf. Als Kind war ich sehr still und brav. Hole ich da jetzt etwas nach. Ich vermisse im Nachhinein Unterstützung und Ermutigung durch meine Eltern bei Abenteuern und Entdeckungen. Sie waren froh, nehme ich an, dass ich brav und unkompliziert war und ließen mich in Ruhe, so wie ich sie in Ruhe ließ. Eine Ruhe, in der das Leben und Entdecken zu kurz kam.

 

Punkt zwölf bin ich oben, nach zweieinhalb Stunden. Ich habe einen schönen Blick zurück ins Tal und auf die hohen Berge um den Kel-Suu. Es ist allerdings bedeckt und um mich rum grollen Gewitter. An den rumliegende Stacheldrahtresten habe ich mir die Beine aufgeschrammt. Auf sehr huckeliger Piste geht es flach weiter. Plötzlich vorne ein Platten. Mist. Schlauch gewechselt. Muss ich wohl besser auf den Stacheldraht achten.

Kaum denke ich das im Weiterfahren, da verhakt sich ein Bündel im Vorderrad und die frisch aufgepumpte Luft entweicht wieder. Das gibt es doch nicht! Was für ein Pech! Jetzt muss ich auch noch flicken oben auf dem Berg. Es weht und fängt an zu tröpfeln. Ich finde das Loch und pumpe wieder auf. Doch es entweicht immer noch Luft. So ne Kacke, noch ein Loch. Auch das Flicken mit Wind und Regen im Nacken ist super nervig. Die Löcher sind schwer zu finden, denn sie sind klein und der Wind braust um meine Ohren, Und der Schlauch hält die Luft immer noch nicht! Scheiße hoch drei! Ich hab noch einen anderen kaputten Schlauch, der die Luft nur langsam abließ. Den ziehe ich ein und kann tatsächlich weiterfahren. Aber eine große Zukunft hat das nicht.

 

Was tun? Zelt aufbauen und in Ruhe alle Reifen flicken. Ich komme in ein Tälchen und da fließt sogar ein Bächlein, an dem ich mein Zelt aufbaue und den Rest des Tages mit Lesen, Reifen Flicken und Essen verbringe. Der Regen trommelt stetig aufs Dach.

Montag, 2. August 2021

Durchs Ak-Say-Tal oder wo ist hier denn die nächste Mitfahrzentrale?

Fast die ganze Nacht durch hat es geregnet, morgens ist es aber trocken von oben. Auch wenn alle Reifen geflickt sind, ist mir nicht wohl angesichts dessen, was mir noch bevorsteht: einige weitere Kilometer auf der „Old Soviet Road“. Ich wünsche mir sehr, sie hinter mich zu bringen, ohne einen weiteren Platten.

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So schiebe ich mein Rad auf den nächsten Berg, mein Blick immer wachsam auf den Weg gerichtet. Einige Stacheldrahtknäuel räum ich aus dem Weg, in Gedanken bei den Teilnehmer*innen des Silk Road Mountain Race. So geht das fünf, sechs Kilometer, da gabelt sich die Straße. Ich darf den Teil ohne Stacheldraht ins Tal rollen. Meine Laune hebt sich gleich beträchtlich.

Ich lande auf der Hauptroute im Ak-Say-Tal ungefähr bei den verfallenen Stallungen, die mir zwei Tage vorher Schutz boten. Von hier sind es ungefähr hundert langweilige Kilometer bis Torugart an der „chinesischen Autobahn“. Das will ich mir schenken und ein Auto anhalten, dass es mich mitnimmt. Nur: es kommt keines! Zwei SUV begegnen mir. Das war´s! Das Wetter wird auch noch schlechter, erst tröpfelt es nur ein bisschen, dann kommt Dauerregen und ich trage erstmals meine vollständigen Regenklamotten.

 

Da sehe ich in ein paar hundert Metern Entfernung einen Kirgisen mit seinem Hund, der die Straße ansteuert und dort auf mich wartet. Er lädt mich in seine Jurte ein. Das passt doch ganz prima!

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Akhr, 29, seine Frau Naigaze, 20, im siebten Monat schwanger, und sein jüngerer Bruder Madlen, 10, leben mit ihren Tieren in einem alten Armeezelt und einer Jurte daneben. Akhr ist sehr neugierig, aber es hakt mit der Kommunikation. Er macht das mit Lautstärke wett. Und laut können sie, die kirgisischen Hirten. Seine junge Frau ist echt hübsch und auch charmant. Sie lächelt meist, ist zugewandt und auch frech zu ihrem Mann, dem sie geistig überlegen ist. Irgendwie klappt die Kommunikation dann doch mehr oder weniger. Die beiden wollen meine ganze Ausrüstung sehen und ich zeige sie ihnen unter vielen Ahs und Ohs gerne.

Madlen kommt irgendwann völlig durchnässt und durchgefroren ins warme Zelt. Er ist eher still und in sich gekehrt, nur selten lacht er oder ärgert mal seinen großen Bruder. Ich vermute, er muss bei Wind und Wetter jeden Tag von morgens bis abends die Schafe hüten. Von einem Esel aus. Was für eine Kindheit, die er geduldig erträgt. Ich zeige im viele Fotos auf meinem Telefon und er ist sichtlich interessiert.

 

Naigaze watschelt ganz schön mit ihrem dicken Bauch. Sie wird sichtlich von Rückenschmerzen gequält, erledigt aber meist klaglos ihre Aufgaben und verbreitet dabei gute Laune. Ich biete ihr Shiatsu an. Sie scheint begeistert, will dann aber doch nicht.

 

Abends, wie schon direkt nach meiner Ankunft, gibt es nochmal Chai, dazu leckeres selbstgebackenes Fladenbrot, Butter, feste Sahne, Himbeermarmelade. Kein warmes Abendessen, wundere ich mich. Doch nachdem Madlen im Bett verschwunden ist, wird gekocht: Nudeln in etwas Soße. Um 23 Uhr. Dann gehen wir alle in die Schlafjurte, in der ich auch ein Plätzchen bekomme.

Dienstag, 3. August 2021

Nach Torugart oder Rumgeeier im Schotterbett

Am Vorabend und auch heute Morgen hat sich mein Durchfall verschlimmert. Nicht schlimm, aber auch nicht schön. Von Naigaze bekomme ich eine Pille. Na gut, ich nehme sie. Tetracyclin. Und sie wirkt. Den ganzen Tag über keine Probleme. Ich bekomme noch Brot von ihr und ein Glas Himbeermarmelade. Die futter ich die nächsten Tage auf.

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Weiter geht meine endlose Fahrt gen Westen, immer schön langsam bergauf. Ich muss einen tiefen Fluss furten, Mitte Oberschenkel bei ordentlich Strömung. Ich habe nicht mit dieser Tiefe gerechnet und bin mit voll bepacktem Rad in die Fluten gestiegen. Ich hebe das Vorderrad hoch, damit die Vorderradtaschen nicht so tief im Wasser hängen. Trotzdem ist der Strömungsdruck ordentlich und ich ackere ganz schön.

Längere Strecken führen durch ausgetrocknete Kiesbetten, teilweise mit mehreren Wegführungen. Zwei SUV überholen mich in der Ferne. Keine Chance sie zu stoppen und wahrscheinlich sind sie sowieso gut mit Touristen besetzt. Auch in der Gegenrichtung kaum Verkehr: drei Autos. Werde ich also die ganze Strecke bis Torugart radeln dürfen. Die SRMR-Route über den Tash-Rabat-Pass werde ich mir sparen.

 

Ich erreiche den Zaun, der die Grenzregion zu China absperrt. Wenigstens mal etwas Abwechslung. Auch Gewitterzellen bilden sich, Donner grummeln. Ich bleibe aber trocken und sehe irgendwann den Chatyr-Kul-See. An dem geht es noch ein Stück entlang und es kommt genauso, wie ich mir das dachte: kurz vor Torugart holt mich ein Viehtransporter ein. Ich halte ihn an. Fahrer: Typ Schlachter, alle Finger hat er auch nicht mehr. Ich frage, ob er mich nach Tash Rabat mitnimmt. Er hat aber ne Kuh hinten drauf und will nicht so recht. In Torugart gäbe es ein Gasthaus. Das finde ich auch die bessere Lösung für mich.

Torugart taucht auf. Wow, modern, bunte Häuser. Sieht ja einladend aus. Das ändert sich, als ich näher komme. Alles eingezäunt. Modern ist die Zoll- und Grenzabfertigung. Ich muss auf Schmuddelpiste drumrum radeln und versuche vergeblich, ein Gasthaus zu erspähen. Da stehen nur ein paar öddelige Bauwagen rum. Menschen sind da wenigstens auch und ich spreche einen netten Kirgisen an. Ne, Gasthaus gibt es hier keines, auch keine Transportmöglichkeiten. Ich könnte es ja mal in dem anderen Bauwagen probieren. Als ich ratlos dreinschaue, bringt er mich hin. Und tatsächlich: ich kann in dem Bauwagen mit der Familie übernachten und bekomme nicht nur was zu essen, sondern der Bruder besorgt mir auch eine Mitfahrgelegenheit nach Tash Rabat am nächsten Morgen. Ich fühle mich wohl in dem ärmlichen Wagen. Die Leute sind nett und machen keinen unzufriedenen Eindruck.

Mittwoch, 4. August 2021

Tash Rabat und Kulak-Pass, aber ganz gaaanz langsam

Der Transport mit einem SUV klappt problemlos und um zehn Uhr bin ich in Tash Rabat und schaue mir die alte Karawanserei an. Die Sonne scheint endlich mal wieder wärmend vom Himmel und ich lege mich ins Gras. Wie weiter? Der Ort ist schön und es gibt hübsche Jurten zu mieten. Ich könnte einfach mal einen Tag faulenzen und mich erholen. Vom Durchfall bin ich auch noch etwas geschwächt und von den anstrengenden, erlebnisreichen letzten Tagen.

Andererseits zieht es mich auch zum Song-Kul und ich weiß nicht genau, wie lange ich dafür brauche. Also mache ich mich auf den Weg, nach dem Motto „ganz gaaanz langsam“. Erst geht es von Tash Rabat das Tal runter, dann wieder rauf, 500 Höhenmeter, auf den Kulak-Pass, 3.400 m. Die Straße geht anfangs schnurgerade einen Hang hoch. Das zieht sich endlos. Es kommt auch noch Gegenwind auf und Gewitter verdunkeln stellenweise den Himmel.

 

Auf der anderen Seite dann interessante Felsformationen und ein schönes, weites, grünes Tal. Die weißen und schwarzen Wolken, dazu auch blauer Himmel, geben ein schönes Bild. Als die Abfahrt etwas flacher wird, wundere ich mich, wie anstrengend das Fahren ist, bis ich merke, dass die Vorderradbremse blockiert ist. Aha, so ist das, wenn der Belag abgefahren ist, wie ich feststelle. Ich wechsle ihn, das dauert etwas, klappt aber problemlos. Wieder was dazugelernt.

Eine aufgesplitterte Gruppe polnischer Motorradfahrer kommt mir entgegen. Erst das letzte Trüppchen hat Zeit, ein paar Wort mit mir zu wechseln. Der Himmel vor mir ist tiefschwarz und der Wind frischt auf. Ich halte Ausschau nach einem Zeltplätzchen. Was ich erblicke, sind jedoch ein paar kleine Gehöfte. Beim ersten frag ich nach, ob ich mein Zelt aufstellen darf. Der junge Kirgise, Dastan, meint, ja, es gäbe aber auch ein Haus. Oh ja, gerne.

Das Haus ist groß, bewohnbar sind aber nur zwei kleine Zimmer. Schabdan, der neunjährige Bruder, strahlt mich unverholen bewundernd an, nimmt mich bei der Hand und führt mich ins Haus. Auch ich finde ihn ein tolles Kerlchen. Es gibt noch ein wenige Monate altes Schwesterchen und die beiden Eltern. Ich zeige meinen Shiatsu-Handzettel vor und tatsächlich, der Vater gönnt sich eine Behandlung. Rückenschmerzen mal wieder das Thema. Er erinnert mich an Ibrahim Ferrer, hat viele Lachfalten und eine Wodkawolke um sich, macht aber keinen betrunkenen Eindruck.

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Donnerstag, 5. August 2021

Nach Baetov oder der Riss

Eindrucksvolle Bergformationen tun sich vor mir auf. Ich muss rauf auf den nächsten Pass, den Mels-Ashuu, 3.350 m. Es geht mal wieder langsam. Als ich nach einem kurzen Atempäuschen wieder in die Pedale treten will, macht es kurz „krk“. Ich nehme sofort Druck raus und denke, ich habe wohl den Gang nicht richtig eingelegt, schaue nach unten und sehe, das Problem ist ein anderes: der Antriebsriemen liegt zerrissen unter dem Rad. Ich glotze erstmal ungläubig, aber es ist nicht zu leugnen. Da hat er bei der Dreckorgie im Sary-Jaz-Tal wohl doch einen abgekriegt. Der Riss ist glatt und sauber.

 

Also Riemen wechseln, Rahmenschloss dafür öffnen, Gepäckträger auf einer Seite abmontieren, genauso das Schutzblech, Hinterrad ausbauen, Riemen drauffädeln und Rad wieder einbauen. Leider ist die Riemenspannung zu niedrig. Also muss ich daran etwas rumstellen. Nach ner halben Stunde etwa get es weiter und er neue Riemen läuft wie geschmiert (was er ja aber nicht ist).

Auf dem MELS-Pass, 3.262 m hoch, ist es grau und kalt und es zieht mich gleich weiter. MELS steht für Marx, Engels, Lenin, Stalin. Der Menschen, die diesen Herren etwas distanzierter gegenüber stehen, heißt er auch noch Borulu-Ashuu. Es tauchen weiße Felsformationen auf. Schön im Kontrast zu den grünen Wiesen. Dann öffne sich plötzlich der Blick in eine atemberaubende Weite und Tiefe: das Naryn-Tal. Es liegt rund 1.700 m unter mir und zieht sich als Ebene bis in die weite Ferne, bis sie dort von einer Bergkette begrenzt wird. Die Ebene ist zerteilt von grünen, roten, weißen und gelben Bergrücken. Sehr bezaubernd. Auch eine Schlucht hat sich in die Ebene gegraben. Über dem ganzen schweben schwarze und weiße Wolken am blauen Himmel.

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Durch diese Szenerie rolle ich die nächsten beiden Stunden bergab bis nach Baetov, ein modernes, sauberes Städtchen, in dem, wie in keiner anderen kirgisischen Stadt, die ich bislang gesehen habe, alle, auch die Nebenstraßen asphaltiert sind. Ich finde ein Gästehaus, modern und charakterlos, gehe essen und einkaufen.

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