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Kirgisistan 2021 - Zum Issyk-Kul und über Barskoon-Pass und Burkhan-Tal nach Naryn

Freitag, 23. Juli 2021

Zurück zum Issyk-Kul oder Paare am Strand, 60 km

Wieder spür ich den Gegensatz zwischen an einem Ort aufgehoben, versorgt und unter Menschen sein und alleine unterwegs mit ungewissem Ziel. Aber schon bald genieße ich die Fahrt auf der schon bekannten Hauptstraße zurück zum Issyk-Kul. Schau ich nach rechts sehe ich weite Felder, dazwischen viele bunte Blumen, weit entfernt eine Bergkette. Die Zwiebelernte ist gerade in vollem Gang. Ich sehe Menschen auf den Feldern, aber keinen einzigen Traktor oder eine sonstige Maschine. Schau ich nach links, dann sind die hohen Berge ganz nah. Die Sonne scheint vom blauen Himmel und so soll es auch bleiben, die nächsten Tage.

In Kyzyl-Suu finde ich ein Café, wie hier die Restaurants heißen. Salat und Schaschlik gibt es. Am späten Nachmittag erreiche ich Ak Terek, wo mir schon auf der Hinfahrt ein schöner Strand aufgefallen war, der durch ein lichtes Aprikosenwäldchen von der Straße abgetrennt ist. Es ist einiges los. Viele Kinder kreischen im Wasser. Dann lichtet es sich. Ein Teeniegrüppchen lacht viel in meiner Nähe. Sie machen Fotos von sich in der Abendsonne. Der eine macht auch mit meiner Kamera ein Foto von seiner Freundin. Noch bevor die Sonne untergegangen ist, bin ich alleine. Der See leuchtet rot. Ich rolle meinen Schlafsack auf dem Sand auf und schlafe unter dem hellen Mondhimmel.

Samstag, 24. Juli 2021

Durchs Barskoon-Tal oder der erste Mensch im Weltall, 50 km, 1.500 Höhenmeter

Ich bin mit den ersten Sonnenstrahlen wach und genieße ausgiebig die Morgenstimmung am ruhigen See. Drei Jungs kommen vorbei und halten ihre Angel ins Wasser. Ein älterer Herr nimmt ein Bad und wechselt ein paar Worte mit mir. Ich springe auch nochmal in das klare, warme Wasser und fahr dann los.

 

Noch vor Barskoon und dem Abzweig ins gleichnamige Tal finde ich ein Café, in dem ich Frühstück bekomme. Dann geht es auf der für die Kumtor-Goldmine hoch in den Bergen breit ausgebaute Straße talaufwärts. Das Tal ist geprägt von dieser Straße und relativ viel Ausflugsverkehr. Am Nachmittag kommen auch viele schwere LKW entgegen. Es staubt ordentlich, ich komme aber auch ganz gut voran. An einer Hütte mit zwei Jurten bekomme ich etwas Warmes zu essen. Ein Stück weiter ist eine Gedenkstätte für Juri Gagarin, der sich hier gerne von seinen Flügen erholt hat.

Ab 2.800 m Höhe kommen die ersten Serpentinen. Das Tal wird steiler und ich sorge mich etwas um einen Zeltplatz. Wasser ist auch bald alle. In der letzten Haarnadelkurve zweigt der „Tranquility Valley Trail“ ab, der auch nach Naryn führt. Dort treffe ich bei zwei Hütten auf einen jungen Hirten und darf Wasser aus einer Tonne tanken. Einkleines Stück Wiese ist wie für mein Zelt gemacht und nach höflicher Nachfrage darf ich dort bleiben. Ein Klohäuschen gibt es auch. Also fahr ich erst morgen in das steile, enge Tal, das als nächstes kommt, und kann dann gucken, ob es dort vielleicht doch auch einen Zeltplatz und Wasser gegeben hätte.

Sonntag, 25. Juli 2021

Über den Barskoon- und Arabelpass ins Burkhan-Tal oder endlich mal wieder auf 3.800 Metern, 50 km, 800 Höhenmeter

Ich verabschiede mich von meinem wortkargen, jungen Hirten und mach mich daran, die letzten 700 Höhenmeter bis zum Barskoon-Pass zu bewältigen. Gestern lief es ja ganz gut und ich hätte eigentlich noch weiter gekonnt. Gut aber, dass ich den Zeltplatz fand, denn jetzt kommt nichts Annehmbares mehr. Heute läuft´s irgendwie gar nicht und ich keuche und japse den Berg hoch. Mir wird auch schnell wieder schwindelig beim Pausieren. Immerhin ist fast alles fahrbar, wenn auch mit vielen Verschnaufpausen, je nach Steigung alle paar Meter.

Kurz bevor ich oben bin, kommt ein Konvoi mit mehreren Tankwagen angebraust. Ein Kontrollfahrzeug warnt mich vor. Ich mach gerne in einer Kehre Platz. Schon beeindruckend, wie die Dinger hier hochbrettern. Staub wird auch ordentlich aufgewirbelt.

Dann bin ich oben. 3.819 m steht auf dem Passschild, nach anderen Infos sollen es 3.754 m sein. Es öffnet sich eine weite Ebene mit Wiesen und Seen, die mal grün, mal tiefblau, mal weiß erscheinen, je nach dem, was sich gerade in ihnen spiegelt. Drumrum Berge mit Gletschern, insgesamt aber eher karg. Bevor mein Abzweig zum Arabel-Pass kommt, werde ich nochmal von einem Konvoi eingestaubt. Es ist flach bis leicht wellig, ich bin aber echt ausgelutscht und mach schon an kleinen Anstiegen schlapp.

Vom Abzweig sind es jetzt rund 200 km bis Naryn, 200 km talwärts ohne eine nennenswerte Siedlung oder ein Lädchen. Das nenne ich mal ne Hausnummer. In einer Jurte bekomm ich Tee und eine Suppe, dann bin ich am Arabel-Pass, 3.837 m, und es geht steil bergab ins Burkhan-Tal. Wow, wie schön grün und tolle Berge drumrum. Ich lasse die Bilder mal sprechen.

Weit und breit kein Mensch und keine Jurte, nur ein paar Pferde. Doch wer kommt mir da entgegen? Ein Wanderer mit großem Trekkingrucksack: Emilian aus Belgien. Er wandert von West nach Ost durch ganz Kirgisistan. Coole Sache. Netter Kerl. Angenehme Unterhaltung.

 

Weiter geht es bergab durchs schöne Tal. Zum Glück kann ich es viel rollen lassen. Eine breite und tiefe Furt bewältige ich ganz gut. An einem kleinen Seitenbächlein schlage ich mein Zelt auf.

Montag, 26. Juli 2021

Das Burkhan- und Kleine Naryntal bergab oder mit den Jungs in einer Jurte

Das Tal ist schön und sehr dünn besiedelt. Trotzdem ist die Versorgungslage super. Erst werde ich zu einem zweiten Frühstück eingeladen: Chai und Brot, wie üblich, dazu noch scharf gewürzte Kartoffelscheiben und „Fleisch“. Letzteres besteht aus Fettbrocken, zart und schmackhaft und ganz okay für mich. Erstaunlicherweise bleiben Fasern zwischen den Zähnen hängen.

Als nächstes begegne ich dem Pärchen aus Frankreich in ihrem Geländewohnmobil. Wieder klatschen sie mir Beifall. Ich bekomme einen leckeren Kaffee und einen Schokokeks. Dann winkt es schon wieder aus einer Jurte. Agdil lädt mich ein. Er ist vierzehn, macht einen selbstbewussten und coolen Eindruck und lebt hier mit seinem älteren Bruder, dessen 17-jähriger Frau und der 12-jährigen Schwester. Vor der Jurte gibt es einen aufgestauten kleinen Teich mit Fischen. Mal was anderes für den Speisezettel. Ich dagegen bekomme Buchweizen mit sonst nicht viel drin. Die Schwägerin hat ein Buch mit englischen Sätzen und fragt mich: what is the purpose of your journey? Gute Frage, wie antworte ich darauf kurz? Meeting kyrgyz people and enjoying the nature. Sie scheint verstanden zu haben. Mein Shiatsu-Angebot fällt leider nicht auf fruchtbaren Boden und so düse ich weiter.

Ich komme an die Brücke über den Jil-Suu, dem ich vor rund drei Wochen talaufwärts zum Tosor-Pass gefolgt bin. Es geht jetzt flach das Kleine Naryn-Tal hinab, diesmal nicht unten am Fluss, sondern über einen höhergelegenen Grasrücken auf angenehm zu fahrender Graspiste. Ich tauche in ein leuchtend grünes Meer ein, am Horizont reihen sich die Gletschergipfel.

Die Sonne senkt sich und ich brauche mal wieder Wasser und ein Zeltplätzchen. Ich treffe auf die Straße, die rechts nach Kochkor und links nach Naryn führt. Wasser gibt es hier, aber kein Zeltplätzchen. Vielleicht da unten am Wasser, etwas geschützt durch eine Bodenwelle. Als ich etwas passables gefunden habe, entdecke ich ein Haus mit Jurte ein Stück weiter oben an der Straße. Jetzt wieder hoch? Ich überlege noch, da kommt vom Fluss unten ein Motorrad, darauf ein junger Bursche mit wilder, schwarzer Mähne. Der erste Kirgise mit längeren Haaren und ohne Mütze, stelle ich fest.

 

Er strahlt mich an und so fahr ich ihm hinterher zu dem Haus, lerne die drei Brüder, die Schwester, die Mutter und ein junges Paar, das mithilft kennen. Zur Begrüßung gibt es Chai. Dann darf ich miterleben, wie die Schafe zusammengetrieben werden, die Kühe gemolken. Die Jungs sind lustig, interessiert, machen ihren Job sehr souverän und wirken sehr zufrieden. Sie singen mir ein Ständchen, ein kirgisisches Lied und ein russisches.

 

Zum Abendessen gibt es Nudeln mit etwas Fleisch. Kumyz darf nicht fehlen, ich halte mich aber zurück. Mit den Jungs zusammen schlaf ich in der Jurte.

Dienstag, 27. Juli 2021

Weiter durchs Kleine Naryn-Tal oder die Jurte des Grauens

Frühaufsteher sind die Kirgis*innen eher nicht. Der Älteste, etwa 18 Jahre alt, steht um halb acht auf. Die Schafe werden aus dem Gehege entlassen, die Kühe gemolken. Die Fohlen werden festgebunden, damit der Kumyz nicht knapp wird. Dann gibt es Frühstück und ich mach mich auf den Weg.

Kaum trete ich in die Pedale, kommt mir Vic aus England entgegen. Er ist vor der „crazy“ Corona-Situation geflohen. Hier hat ihm dafür ein Hund zwei respektable Löcher in seine Karrimor-Taschen gebissen. Sein Essen ist alle und er will über den Tosor-Pass. Ich helfe ihm mit etwas essen aus und beschreibe ihm den Weg, denn er wollte eigentlich über die Trans-Pamir-Highway in Tadschikistan – oh, die Grenze ist dicht? - hat nur ne sehr grobe Karte.

Ich komme an meinem alten Zeltplatz vorbei und dann zu der tollen Schlucht, an deren Ende ich in das Yurt-Camp abbiege und mir ne Jurte buche. Erst soll sie 400 Som kosten, dann doch 650. Na, egal, ich gönne es denn jungen Frauen. Dann soll ich plötzlich in eine andere Jurte umziehen. Die ist aber sehr unordentlich. Ich will nicht. Die junge Frau ist verzweifelt. Dann sehe ich, sie räumen gerade auf, ich glaube an das Gute und stimme zu. Die junge Frau ist sehr erleichtert. Neben den Jurten wird ein Schaf geschlachtet.

Ich wasche mich am Fluss. Zurück in der Jurte stelle ich fest, sie ist jetzt aufgeräumt, doch sie muffelt, irgendwie nach feuchten Decken. Es kommt in Wellen. Außerdem sitzen in der Kuppel, die mit Folie abgedeckt ist, dicke fette Bremsen. Das hatte ich hie und da schon mal gesehen und macht ne Jurte nicht gerade behaglich. Gebissen haben mich die Biester auch schon einige Male. Ich rede mir die Lage schön.

 

Skurril ist auch, dass beim Nachmittagstee und auch beim Abendessen, ein einfaches kirgisisches Mahl, eine etwa 15-Jährige dabei sitzt und mir Tee nachschenkt. Das ist ein kleines Ritual, denn konzentrierter Tee wird mit heißem Wasser aufgegossen. Das macht in der Regel die „Chefin“ am Tisch. Als Gast darf ich das wohl auf gar keinen Fall selbst machen, denn wegschicken lässt sich das Mädchen nicht. Ein Gespräch kommt auch nicht zustande und so esse und trinke ich schweigend vor mich hin.

Es wird dunkel und ich lese noch auf meinem Nachtlager. Ein Junge kommt vorbei und will die Decke vor dem Jurteneingang runter lassen. Das geht gar nicht bei dem Mief! Ich rufe laut „njet, njet“, doch er lässt sich nicht abbringen. Ich bin sauer und binde die Decke wieder hoch. Die junge Frau taucht auf. Ich schildere ihr mein Anliegen. Sie stimmt zu und ich lege mich wieder hin. Kurz darauf, es ist jetzt schon dunkel, das gleiche Spiel nochmal. Diesmal eine alte Frau. Ich protestiere, werde aber ignoriert. Ich binde die Decke wieder hoch, die Alte lässt sie wieder runter. Mir reicht es. Ich packe meine Sachen zusammen und suche mir einen Zeltplatz am anderen Ende der Wiese mit den Jurten.

 

Alle laufen zusammen und versuchen, mich dazu zu bewegen zurückzukehren oder wenigstens mein Zelt näher bei den Jurten aufzubauen. Es gäbe hier Wölfe! Mein Rad könnte geklaut werden! Alles Quatsch, wie ich finde. Grummelig schlaf ich ein. Irgendwie bin ich auch froh, den Absprung aus dieser ungemütlichen Jurte gefunden zu haben.

 

Da hätte ich wohl besser und früher auf mich geachtet. Ich fühlte mich im Dilemma, da ich ja zugestimmt hatte, in diese Jurte umzuziehen. Doch warum fällt es mir schwer, für mich einzustehen? Schnell denke ich, irgendwas stimmt mit meiner Wahrnehmung nicht, stimmt mit mir nicht. Die Anderen könnten mich für blöd oder komisch halten. Außerdem lasse ich dem Schicksal gerne Spielräume. So passieren auch tolle Sachen. Das hier war alles andere als toll und ich will daraus lernen, meiner Wahrnehmung zu trauen und für mich einzustehen, egal was irgendwer sonst über mich denkt.

Mittwoch, 28. Juli 2021

Zurück nach Naryn oder Cappuccino im Bamboo

Ohne Frühstück breche ich früh auf. Zuvor klemme ich 1.000 Som für die Übernachtung und das Essen hinter den Scheibenwischer. Mir ist das Geld nicht so wichtig und die Leute, mit kleinem Baby, brauchen es sicherlich dringender.

 

Ich komme auf eine Anhöhe und der fantastische Ausblick versöhnt mich sofort mit allem. Bunte Berge und Wiesen in der Morgensonne. Am Horizont hohe Gipfel mit Gletschern. Ein reißender Fluss in der Tiefe. Langsam rolle ich gen Naryn, gehe etwas Schönes essen und Cappuccino trinken und nehme mir ein Zimmer. Dann hole ich die Genehmigung für die Naryn-Grenzregion im CBT-Büro ab, gehe einkaufen und entspanne mich den Rest des Tages.

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