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Kirgisistan 2021 - Von Baetov nach Bishkek
 

Freitag, 6. August 2021

Glück im Unglück im Glück oder "Mit (ohne) Pinion schneller zum Ziel"

Auf meist gutem Asphalt geht es flux hinaus aus Baetov und die restlichen Höhenmeter hinab ins Naryn-Tal. Dort angekommen, folge ich dem Fluss talaufwärts. Ich komme flott voran und erreiche nach 40 km die Abzweigung zum Moldo-Ashuu-Pass und zum Song-Kul. Dort war ich vor fünf Wochen runtergekommen und nach Naryn abgebogen. Ein weiterer Kreis hat sich geschlossen.

Auf dem Weg hierher hatte ich Unlust verspürt auf die 1.700 Höhenmeter rauf auf den Pass. Ich weiß zwar, das Tal ist super schön und ich hab genug Zeit. Aber es ist auch weit und anstrengend. Wie wäre es also, mich mitnehmen zu lassen? Ich finde die Idee super, ich könnte schon heute Abend oben am Song-Kul in einer Jurte sitzen und die Atmosphäre genießen und hätte zudem einen Tag gewonnen.

 

Am Abzweig sitzt eine Alte, wartend auf den Bus, und fragt mich nach dem wohin. Ich antworte ihr und sie zeigt mir die Abzweigung. Ich will aber erst noch gucken, was es da so für Lädchen gibt an der Kreuzung, und fahre ein paar Meter weiter Richtung Naryn. Die Alte ruft irgendetwas und ich antworte etwas ungehalten. Als ob ich nicht wüsste, was ich tue!

Ich rolle über die Brücke über den Naryn und trete in die Pedale. Es klemmt! Was soll der Scheiss schon wieder? Stimmt was nicht mit der Riemenspannung? Ich locker sie etwas und bekomme die Pedale wieder frei. Nach ein paar Metern wieder dasselbe. Das scheint ein gravierenderes Problem zu sein. Ich bau das Hinterrad aus und stelle fest, die Pedale sind sehr schwergängig. Mal ist ne halbe Umdrehung möglich. Dann sitzen sie schon wieder fest. Außerdem sitzt das Ritzel locker. Der Schraubring hat sich gelöst. Das muss schon eine Weile her sein und ist vielleicht die Ursache des Problems, denn so könnte ungleichmäßiger Druck auf die Lager gekommen sein. Keine Chance, daran etwas zu reparieren. Ich könnte nichtmal die Pedale abmontieren. Und klar ist auch, das Problem sitzt im Getriebe. Tour beendet! Welche Enttäuschung. Irgendwie haben sich in den letzten Tagen die Pannen gehäuft und jetzt das Ende. Kein Abschied vom Song Kul. Kein Ausrollen lassen bis Kochkor. Sondern abruptes Ende meiner Tour. Welche Enttäuschung auch über das Material.

 

Bislang konnte ich alle Probleme lösen und mein Rad hat mich treu begleitet bei meinen Abenteuern, hat mir viel Glück beschert. Jetzt hat das Pech zugeschlagen. Das hätte doch nicht sein müssen! Letzlich hatte ich jedoch wiederum Glück mit dem Zeitpunkt. Meine Tour ist fast zu Ende. Und zwei Kilometer zurück ist die Kreuzung, an der ich bestimmt eine Mitfahrgelegenheit bekomme. Wenn das irgendwo im abgelegenen Sary-Jaz- oder Ak-Say-Tal passiert wäre?

 

Ich schiebe mein Rad zurück zur Kreuzung. Dort wartet eine Familie mit zwei Autos. Ich schnorre mir erstmal eine Zigarette und berichte von meinem Problem. Ich zeige „Daumen oben“, sage „Germania super luxus“ und rolle den Daumen langsam ein, bis er nach unten zeigt. Der Kirgise versteht, lacht und tätschelt seinen Lada. Auch ich kann noch lachen.

 

Ein mit Kisten voller Aprikosen beladener Wagen kommt vorbei. Er will 5.000 Som bis Naryn. Ich biete 2.000. Wird nichts, mit unserem Geschäft. Eine Maschrutka kommt vorbei. Leider zu voll für mich und mein Rad. Der Fahrer steigt jedoch aus, kommt zu mir und hält mir einen Zettel mit 1.500 Som unter die Nase. Alles klar, ich bin einverstanden. Er macht eine Geste, dass er zurückkommt.

Das geht erstaunlich schnell. Im Kleinbus ist jetzt vorne Platz für mein Rad und ganz hinten für mich. So brause ich nach Naryn. Dort angekommen, gebe ich ihm das Geld. Er will jedoch nur 1.000 Som. Ein Ehrenmann.

 

Ich bin etwas unschlüssig, was ich tun soll. Alles hat sich so schnell geändert. Ich bin raus aus der Einsamkeit, Schönheit und Ruhe der kirgisischen Landschaft und im Stadt- und Verkehrsgewühle gelandet. Etwas benommen sitze ich auf einem Mäuerchen. Bleib ich ne Nacht in Naryn oder fahre ich noch weiter nach Kochkor?

 

Kirgisen quatschen mich an und schon habe ich Kontakt zu dem Fahrer eines Sammeltaxis nach Kochkor. Preis 1.200 Som für 120 km. Wir klemmen das Rad hinten in einen Mercedes Vito. Es dauert noch ne Weile, bis der Wagen voll ist. In flottem Tempo geht es über die gut ausgebaute Straße. Unterwegs begegnet uns eine Gruppe mit vier Reiseradler*innen. Ich hätte mir ja ne andere Strecke ausgesucht, aber immerhin fahren deren Räder.

 

In Kochkor angekommen, werde ich von bunten Obst- und Gemüseständen empfangen. Ich komme im Gästehaus „Traveller“ unter, ein moderner Neubau mit vier Zimmern. Nette Familie. Heute brauche ich ein Bier, um meine Enttäuschung zu verarbeiten, und mach mich auf die Suche nach einem Restaurant. Gar nicht so einfach, etwas zu finden, trotz Google. Es wird eine Pizza mit kirgisischer Pferdewurst und zwei Bier. Durch die dunklen Straßen eier ich nach Hause.

Samstag, 7. August 2021

Kochkor

Heute sammel ich mich mal und lasse die unerwartete Entwicklung etwas sacken. Ich besuche die Teppichmanufaktur Altyn Kol und kaufe zwei kleine, wunderschöne Teppiche. Emir, der Medizin studierende Sohn des Hauses wird mich am nächsten Tag mit dem Auto nach Bishkek bringen. Die 3.000 Som ist es mir Wert, ohne Stress und mit netter Begleitung zurück in die Hauptstadt zu kommen.

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Sonntag, 8. August 2021 bis Samstag, 14. August 2021

Rückfahrt nach Bishkek und letzte Tage in der Hauptstadt

Da ich die kirgisischen Filzteppiche sehr schön finde, bereue ich, dass ich gestern nicht auch noch in der anderen Frauenkooperative war. Also gehe ich frühmorgens noch vor der verabredeten Abfahrtszeit dorthin. Sonntag früh um neun ist natürlich noch alles dicht. Ich schleiche ums Haus und klopfe schließlich ans Tor. Tatsächlich öffnet jemand und sagt, klar, der Laden ist auf. Es gibt auch zwei schöne, mich ansprechende, mittelgroße Teppiche, von denen ich mich für einen entscheide. Ich runde den Preis auf und bekomme noch ein Lederarmband und ein kleines Wollschäfchen geschenkt.

 

Runter nach Bishkek wird es immer heißer und am frühen nachmittag bin ich in meinem Hostel, dem Tunduk, nicht weit entfernt von meinem ursprünglichen Sweet Home Hostel, das jedoch keinen Platz für mich hat.

Ich besuche meine Lieblingscafés und tauche in die bunte Welt des mit vielen jungen Leuten aus aller Welt belebten Hostels ein. John und Abbey aus dem Vereinigten Königreich bekommen eine Shiatsu-Behandlung von mir. Am ersten Abend klopft es zu später Stunde an meiner Tür. Der Mutter der Hostelbetreiberin geht es nicht gut und ich werde als Shiatsu-Therapeut gefragt, ob ich helfen kann. Mittlerweile ist meine Schwelle, in Notfällen zu helfen deutlich gesunken. Ich weise darauf hin, dass ich kein Arzt bin – das steht auch auf Russisch auf meinem Handzettel – und gebe den Menschen die Unterstützung, die sie sich wünschen. Der Mutter geht es am nächsten Tag wieder prima und sie kann sich an nichts erinnern.

 

In den letzten Tagen mache ich nicht viel, lese und schreibe im Hostel, gehe ins Café, auch mal mit Azema, der Hostelbetreiberin, und einer Gruppe von Gästen in eine Brauereigaststätte. Ich kontaktiere Timur, der mich am Anfang meiner Reise in eine Jurte eingeladen hat und mir damit sehr geholfen hat, in Kirgisistan anzukommen. Wir gehen essen und er lädt mich zu seiner Familie, Frau, zwei Kinder, seine beiden Eltern, zum Essen ein. Was für ein herzlicher, freundlicher und verbindlicher Mensch!

 

Vorsichtshalber, obwohl ich durchgeimpft bin, mache ich noch einen PCR-Test bei Aqualab. Dauert etwa eine Stunde, kostet 1.700 Som (17 €). In der Hitze der Stadt nehme ich Abschied vom Stadtzentrum. Der Rückflug klappt problemlos. Und schon bin ich nach großem Abenteuer, 2.000 km und 25.000 Höhenmetern, wieder zurück in meiner gewohnten Welt.

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