Kirgisistan 2021 - Karkara- und Sary-Jaz-Tal
Montag, 19. Juli 2021
Von Jyrgalan ins Karkaratal, 50 km, 1.000 Höhenmeter
Es fällt mir nicht ganz leicht aufzubrechen. Vier Nächte habe ich mich hier ganz wohl gefühlt, mit Dach über dem Kopf, Bett, freundlicher Familie fast schon wie zuhause. Und Naisira hat mich wunderbar bekocht, ein abwechslungsreiches Frühstück und jeden Abend ein anderes, typisch kirgisisches Menü mit Suppe, Salat und Hauptgericht. Tja, und jetzt soll ich wieder in die Fremde, das Unbekannte, die Grenzregion zu Kasachstan und danach in eine unwirtliche Gletscherregion?
Ich will über zwei kleine Pässe auf kleinen Wegen direkt nach Osten ins Karkaratal. Naisira und ihr Mann raten mit davon ab. Das ginge nur mit Pferd. Ich solle die Hauptstraße nehmen. Ich lasse mich nicht von meinem Plan abbringen. Ich will über diese fantastisch grünen Wiesen. Anfangs noch ein Feldweg, der zu einzelnen Jurten führt, sind es bald nur noch Pfade oder auch nicht mal das. Ich kann aber fast alles radeln. Die Steigung ist moderat und die Wiesen machen auch mit.
Die Landschaft ist zauberhaft schön. Leuchtend grüne Hügel, eingerahmt von etwas schrofferen Bergen. Hier und da hübsch platzierte Wäldchen. Bunte Blumen, einzelne Jurten, Pferde- und Schafherden. Ich komme auf eine Hochebene. In der Ferne ein kegelförmiger Berg. Über dessen Ausläufer muss ich noch rüber. Dahinter ist dann Kasachstan.
Durch ein kleines Seitental komme ich in ein breiteres, dichter besiedeltes Tal mit einer Piste. Auch hier isst es wunderschön. Ein Stück talwärts und schon biege ich wieder ab zum nächsten Pass. Es geht en Stück steil hoch. Ein LKW mit offener Ladefläche überholt mich. Darauf einige Kirgisen, die mich grüßen. Oben auf dem Pass treff ich sie wieder. Sieht nach einem Wodka-Picknick aus. Ich bekomme auch einen angeboten, lehne aber ab.
Es geht ins Karkaratal, vorbei an einem „Base Camp“ mit vielen Häusern, Jurten und Zelten. Auch ein Hubschrauber steht rum. Die Karkara fließt bald durch ein enges Tal mit steilen Flanken. Ein Mädchen winkt mich herbei. Es ist doch tatsächlich die sehr charmante Achtjährige vom LKW. Ich werde zum Essen eingeladen und dabei ausgiebig auf russisch befragt. Eine fröhliche Gruppe aus fünf Männern, vier Frauen und fünf Kindern. Am Ufer der Karkara machen wir Fotos. Danach fahr ich noch ein Stück weiter durch das schöne Tal. Interessante Felsformationen in rot und weiß tauchen auf. Am Zusammenfluss zweier Flüsse baue ich mein Zelt auf.
Dienstag, 20. Juli 2021
Über den namenlosen Pass ins Sary-Jaz-Tal
Langsam geht es weiter talaufwärts, landschaftlich nicht mehr so abwechslungsreich. Ich bin etwas schlapp und lustlos, koche mir erstmal was Richtiges zu essen. Hier und da komme ich mit Kirgis*innen in Kontakt, bekomme einen Becher Kumyz zu trinken. Ich hoffe, oben auf dem Pass den Khan Tengri (7.000 m hoch) und den Pobeda (7.500 m) zu erblicken.
Es wird langsam steiler und fängt an zu regnen. Der Pass liegt auf einer weiten Hochfläche, es geht auch immer noch bergauf. Jetzt kommen auch noch Donner dazu und es hagelt. Was tun im Gewitter? Die Hochebene ist sicherlich nicht so ideal. Ein paar Kühe grasen seelenruhig vor sich hin. Ich fahre oder schiebe weiter. Stellenweise ist der Weg sehr aufgeweicht und der lehmige Matsch klebt dick an den Rädern und wird von den Schutzblechen und Streben wieder abgeschält. Sieht ganz interessant aus. Leider verschmiert der Dreck auch meinen Antriebsriemen und plötzlich, noch im Anstieg, blockiert die Kurbel – zuviel Dreck zwischen Riemen und Ritzel. Ich spül den Dreck ab und es läuft wieder.
Mit der Aussicht wird es wohl nichts bei der Suppe. Aber da hab ich mich getäuscht. Als ich oben bin auf 3.354 m fällt mein Blick in das weite Tal des Sary Jaz. Der Fluss schlängelt sich durch ein breites Kiesbett. Dahinter eine Kette hoher, schneebedeckter Gipfel. Vom Khan Tengri allerdings keine Spur.
Mir ist arschkalt, weil ich zu spät Regenklamotten angezogen habe, und ich will schnell ins Tal. Ein Geländewagen mit einem Touri-Pärchen kommt mir entgegen. „You must be very brave!“ Der Typ ist echt beeindruckt. Ich nehme das Kompliment dankbar an, will mich aber auch nicht verquatschen, den ich schlottere vor Kälte. Da taucht auch noch ein Kirgise zu Pferd mit Hund auf. Auch nur ein kurzer Plausch und ich düse weiter ins Tal und hoffe, im flacheren Teil mich wieder warmfahren zu können.
Diese Hoffnung wird schnell zerstört. In einem kurzen Anstieg blockiert wieder die Kurbel. Der Riemen ist abgesprungen und hat sich am hinteren Ritzel verklemmt. Nichts geht mehr vor und zurück. Nicht mal mehr schieben lässt sich das Rad. So fix mal eben das Hinterrad ausbauen bei dem ganzen Gepäck ist auch zu aufwendig. Katastrophe hoch drei! Scheiß Wetter, Scheiß Frieren, Scheiß Fahrrad! Zum Glück ist ein paar Meter weiter ein windgeschützter, geeigneter Zeltplatz. Da taucht auch noch der Kirgise überm nächsten Hügel auf. Den kann ich jetzt gerade noch gebrauchen. Er ist mitfühlend und lädt mich in seine Jurte ein. Doch keine Ahnung, wo die steht und ich kann das Rad ja schlecht dahintragen. Ich will nur noch mein Zelt aufbauen und in den Schlafsack kriechen.
Der Kirgise stellt sich dicht neben mich und schaut in die Ferne. Was will er mir sagen? Was soll da hinten sein? Dann wird mir klar, er will ein Selfie. Das find ich dann trotz meiner beschissenen Lage lustig. Dann lieg ich endlich im Schlafsack und langsam wird mir warm. Es regnet die Nacht durch und ich hoffe, dass der Riemen keinen Schaden genommen hat und ich ihn am nächsten Tag wieder auffädeln kann.
Mittwoch, 21. Juli 2021
Durchs Sary-Jaz-Tal und im Lada über den Chou-Ashuu-Pass
Ich hab mindestens zehn Stunden geschlafen, bin früh wach und tatsächlich: da steht er am Horizont, der Khan Tengri, der heilige Berg am Dreiländereck Kirgisistan, Kasachstan und China. Mission erfüllt, denk ich mir und während ich das Tal abwärts radle unter bedecktem Himmel, leicht tröpfelnd, wächst der Plan, mich aus dieser Region zu verabschieden und mir eine Transportmöglichkeit über den 3.822 m hohen Chong-Ashuu-Pass zurück nach Karakol zu suchen. Der Gedanke ist sehr verlockend: heute Abend Zimmer mit Dusche und lecker essen gehen.
Ich komme an einer kleinen Kaserne vorbei und endlich mal wird mein Permit für diese Grenzregion kontrolliert. Das Tal wird enger und am frühen Nachmittag bin ich an der Straße, die links nach Engylchek und rechts nach Karakol führt. Richtung Karakol ist auch eine Kontrollstation. Ich frag, ob es einen Transport nach Karakol gäbe. Njet, meint der eine Soldat. Yes, sagt der andere, der ein paar Brocken englisch kann. Sein Freund käme in einer Stunde hier durch und könne mich mitnehmen.
Okay, ich warte. Wir unterhalten uns und die beiden Soldaten üben mit einem Heft englisch. Aus der gegenüberliegenden Baracke kommt ein weiterer Kirgise dazu, auch in Kampfmontur, und lädt mich zum Tee und essen ein. Er kann etwas besser englisch und erklärt, dass er kein Soldat ist, sondern für das Naturreservat arbeitet. Ich bekomme Tee, ein hart gekochtes Ei, Brot und darf Kartoffeln und Fleisch aus seiner Essensdose probieren.Ein Kirgise schaut durchs Fenster. Er fährt mit seinem Lada-Geländeklapperwagen auch nach Karakol und würde mich mitnehmen. Der Freund von dem Soldaten ist auch schon da. Ein Schnöseltyp, der für die Fahrt hundert Dollar will. Nicht so ansprechend. Er fährt eine schicke neue Toyota-Limousine. Wie soll da mein Rad rein? Ich biete erst tausend, dann zweitausend Som. Der Typ winkt ab und irgendwie ist klar, ich nehme den Lada.
Alle helfen mit, bis mein Rad samt Gepäck komplett im Lada verschwunden ist. Damit hab ich nicht gerechnet, bin aber froh darüber, dass es hinten nicht rausschaut und die Heckklappe auf dem Rahmen rumdötzt. Der Typ ist sympathisch und brettert über die löchrige Piste. Der kleine Lada schaukelt wie eine Nussschale in stürmischer See. Es regnet. Der Scheibenwischer auf meiner Seite ist quasi nutzlos. Das Hinterrad meines Fahrrades ragt bis weit nach vorne, so dass ich gerade noch etwas Platz habe zwischen ihm und der Seitenscheibe. Regelmäßig donnert mein Kopf gegen das Rad. Ich bin mir auch nicht sicher, wie gut der Türe verriegelt ist. Schon oft hab ich beobachtet, wie bei einem Auto in der Kurve die außenliegende Türe von alleine aufgeht. Zum Glück gibt es nur wenige Kurven und die Türe hält. Aus dem Radio schallt kirgisische Musik, die mich etwas an türkische Popmusik erinnert. Jedenfalls sehr schnulzig.
Bald schon überholen wir das Schnöselauto, das um die vielen Schlaglöcher manövriert, über die mein Fahrer in rasanter Schlangenlinie locker drüberbrettert. Doch plötzlich röhrt das Getriebe. Mein Fahrer schaltet hin und her, die Karre bekommt aber keinen Schub. Wir bleiben stehen. Ich leg einen großen Stein unters Hinterrad. Handbremse? Njet! Zu allem Überfluss überholt uns auch noch der Schnösel-Toyota wieder und hält nicht an. Doch mein Fahrer ist ein alter Fuchs. Wo der Schalthebel sitzt, gibt es noch zwei andere Hebel, die es bringen. Die große Musikbox, die dort liegt, landet jetzt zur Hälfte auf meinem Sitz. Aber es geht weiter durch das abenteuerlich umwölkte Tal. Schwupps haben wir auch wieder die Angeberkarre eingeholt, hehe.
Es geht rüber über den Pass und auf der anderen Seite durch ein sehenswertes Tal wieder runter. Radeln wäre hier auch toll. Ich bin aber superfroh, im Auto zu sitzen und mir die Mühe zu ersparen. Es geht rund 2.000 Höhenmeter wieder runter. Auf halber Höhe steht ein Lada am Straßenrand, Fahrtrichtung bergauf. Wir halten an. Klar, alle kennen sich. Fünf Erwachsene und vier Kinder passen in den kleinen Wagen, der wohl etwas überhitzt ist. Freundschaftliche Atmosphäre. Zwei gönnen sich Wodka. Fotos. Der Lada bekommt frisches Kühlwasser. Und weiter geht es ins Tal. In Ak Bulut halten wir an. Endstation. Unsere Wege trennen sich hier. Nach Karakol muss ich selber fahren. Noch 40 km und es ist schon 18 Uhr, zwei Stunden bis Sonnenuntergang. Das schaffe ich nicht und suche mir ein Zeltplätzchen etwas abseits der Straße am Rand einer Wiese zwischen kleinen Bäumchen.
Donnerstag, 22. Juli 2021
Zurück nach Karakol
Ich fahre die bekannte Straße nach Karakol, genieße die Aussicht, links die Berge, rechts eine weite fruchtbare Ebene. In Karakol geh ich frühstücken in dem kleinen Café mit der netten Außenterrasse. Spiegeleier mit Salat, dann Pfannkuchen mit Obst. Das Guesthouse Dshamilja ist leider belegt, also lande ich im „Evergreen“, werde freundlich empfangen. Es gibt vier Zimmer, alles frisch renoviert und geschmackvoll eingerichtet, hübscher Garten. Endlich mal wieder duschen, Wäsche waschen, Zelt trocknen, Texte schreiben. Durch Karakol spazieren.