Südafrika 2021 - Durch die Cape Winelands
Donnerstag, 23. September 2021
Von Malmesbury nach Tulbagh, 65 km
Eine Piste führt mich raus aus der Stadt über weite Hügel durch riesige Felder, etwas öde. Am Horizont zeigen sich Berge. Der Wind bläst mal von der Seite, mal von hinten. So lande ich in Riebeek-Wes. In einem Straßencafé kauf ich mir einen Cappuccino und ein Omelett dazu. Die Herren vom Nachbartisch haben ein paar Fragen an mich, vor allem empfehlen sie mir aber, nicht nach Osten, sondern nach Norden, Namibia zu fahren. Damit kann ich nicht so viel anfangen. Kann schon sein, Namibia ist schöner. Sollen sie doch selbst dahinfahren, statt hier im Café rumzuhängen.
Weiter geht es über die Piste nach Nordosten. Vor der Bergkette im Osten taucht ein riesiger Windpark auf, bestimmt 50 Anlagen, natürlich auch mit Stacheldraht umzäunt, damit keiner sie klaut oder was auf den Kopf bekommt. Meine Route führt da eigentlich durch, kann ich mir abschminken und muss auf einer Hauptstraße weiter bis Ons Rust. In der Schwarzensiedlung, teils Blechhütten, wird mir zugerufen „nice bike“, „give me your bike“. Ich grüße freundlich zurück, merke aber auch, dass die Begegnung mit Schwarzen eine Herausforderung für mich ist.
Ich lande auf eine schmalen Feldweg entlang eine Kanals und einer Bahnlinie. Der Weg endet an einem Sperrwerk. Ich muss das Rad rübertragen, Gepäck gesondert, und hoch an die Straße. Ein Stück weiter zweigt die alte Straße nach Tulbagh ab. Laut Karte endet sich jedoch an der Bahnlinie. Also nehme ich doch lieber die Hauptstraße.
Tulbagh ist ein apartes Örtchen mit vielen schönen alten, Kolonialbauten. In einem, etwas schraddeligen komme ich unter. In einem anderen, dem „Reader´s“ esse ich sehr lecker.
Freitag, 24. September 2021
Von Tulbagh nach Ceres - oder Gescheitert an den Witzenberg Mountains, 45 km, 800 Höhenmeter
Beim Frühstück im gediegenen kolonialen Ambiente habe ich Gesellschaft von zwei weißen Kapstädtern. Der eine ist Künstler und eröffnet morgen hier im Ort eine Ausstellung mit Titel „Riskant“, in der es auch Warnhinweise auf zu betrachtende Nacktheit und Sexualität gibt. Der andere besucht ein Jubiläumsgottesdienst zu Ehren der „Rheinischen Mission“. Einer seiner Vorfahren stammt aus Bremen und war in Südafrika als Missionar tätig und hat sich intensiv mit der Sprache der Einheimischen befasst.
Mein Weg führt mich auf ansteigender Straße auf die aufragenden Witzenberg Mountains zu. Keine Straße zu sehen. Bin mal gespannt, wo es da hochgeht. Der Asphalt endet und Autos oder Menschen gibt es hier keine mehr. Da versperrt mir ein Tor den Weg, abgeschlossen. Ich muss umdrehen. Alles wieder runter und dann einen weiten Umweg um die Bergkette. Da treffe ich auf einen schwarzen Traktorfahrer. Der zeigt mir einen ausgeschilderten MTB-Trail. Der würde auf den Berg raufführen. Na super, ich schaffe es doch. Der Trail wird zum Singletrail, den ich gerade noch so radeln kann. Zweimal kann ich einen Sturz gerade noch so vermeiden, als ich mit den Lowridern am Vorderrad hängen bleibe. An einer steilen Rampe bleibe ich jedoch stecken, komme nicht aus dem Klickpedal und purzle den Berg runter. Ein Busch fängt mich weich auf. Zum Glück kein Dornengestrüpp. Das Rad fällt noch auf mich drauf und so hänge ich reichlich unglücklich rum, kann mich irgendwie befreien.
Der Trail führt weiter bergauf. Bei 500 m Höhe ist der Summit ausgeschildert und es geht wieder runter. Na prima, alles war umsonst. Schon beim Bergabrollen steigt aber wieder meine Stimmung. Irgendwie fühle ich mich befreit, kein Mensch zwingt mich, mich an den Track zu halten. Auf dem Asphalt rollt es sich super. Der Verkehr auf der Hauptstraße hält sich in Grenzen. Ich hoffe nur, dass ich nicht öfter vor verschlossenen Gattern umdrehen muss.
In Wolseley würde ich gerne einkehren, finde aber nichts ansprechendes. Ich nehme meinen Mut zusammen und setze mich auf eine Mauer im von Schwarzen bevölkerten Zentrum und packe meinen Proviant aus. Daniel, ein freundlicher 21-Jähriger mit Mountainbike, setzt sich zu mir und wir kommen ins Philosophieren über den Sinn des Lebens. Ein angenehmer und inspirierender Gesprächspartner.
Weiter geht es auf breiter Straße den Berg hoch bis Ceres. Ich finde ein Zimmer bei einem älteren Paar in einem hübschen Kolonialbau.
Samstag, 25. September 2021
Von Ceres nach Klondyke Cherry Farm, 80 km, 800 Höhenmeter
Morgens stelle ich mit Schreck im Internet fest, dass mein Ziel des heutigen Tages ausgebucht zu sein scheint. Weit und breit gibt es keine Alternative. Was mache ich jetzt? Die Lösung heißt „Madam“. Sie ruft da kurzerhand an und es wird ein Plätzchen für mich und mein Zelt geben. In der Stadt in einem Telefon laden lade ich endlich auch meine SIM-Karte auf, so dass ich telefonieren kann, und kaufe ein paar Lebensmittel ein, denn bei der Cherry Farm gibt es nichts.
Auf breiter asphaltierter Straße geht es den ersten echten Pass hoch, den Gydopass, 1.018 m. Kurz nach der Passhöhe mündet von links die Piste, die ich eigentlich gestern von Tulbagh hochkommen wollte. Ein Stück weiter biege ich rechts auf eine Piste, die mich auf einer breiten Hochebene entlang einer Bergkette nach Osten bringt. Die Landschaft wird langsam attraktiver, naturnäher. Sie ist steppenartig. Im kargen Boden blühen bunte Blumen. Nur selten kommt eine Auto vorbei und hüllt mich in eine Staubwolke.
Ich erreiche den Abzweig zur Cherry Farm. Es geht auf abgesperrtes Gebiet, das Tor steht offen. Vorsichtig radel ich rein, auf eine Farm zu. Da kommt von hinten ein Auto. Freundlich wird mir Hilfe angeboten und ich erfahre, dass ich hier nicht durchkomme. „All gates are closed.“ Na, prima. Ich muss einen Umweg fahren und das auch noch durch ein Tal, 200 Höhenmeter runter und dann auf staubiger, steiler Piste mit steifem Gegenwind wieder hoch.
Da die erste Panne: der Riemen springt mir hinten von der Scheibe. Anhalten, Hinterrad ausbauen, Riemen draufpfriemeln und Hinterrad wieder reinfummeln. Die letzten Kilometer ziehen sich bei dem Wind.
Kläffende Schäferhunde empfangen mich an der Farm. Der Typ ist aber nett, er schenkt mir ein Glas Marmelade, der Campingplatz unter Pinien hübsch. Es stehen etwas fünf Zelte mit Autos rum. Ein Paar spricht mich an – Marvel und Sunnet – und ich bin zum Bier eingeladen. Es wird ein unterhaltsamer und interessanter Abend mit den beiden und einem weiteren befreundeten Paar – Nadja und Lawrence – und Gegrilltes gibt es auch.
Sonntag, 26. September 2021
Von der Klondyke Cherry Farm zum Aquila Privat Game Reserve, 45 km
Vor der Abfahrt bekomme ich noch einen Kaffee von Lawrence zubereitet. Die Sache mit den vielen Gattern macht mir Sorgen. Der Track aus dem Internet funktioniert nur bedingt. Heute will ich nach Touwsrivier. Ein Teil des Tracks dahin scheint nicht zu funktionieren. Der Platzbesitzer meint, da komme ich nicht durch und auch Komoot und OSM zeigen keinen Weg. Also nehme ich erstmal die Hauptstraße und bastel mir für die letzten 20 Kilometer was Eigenes über Schotterstraßen zusammen.
Die Piste, die ich gestern mühsam hochgekurbelt bin, düse ich jetzt bergab. Dann folgt verkehrsarme, asphaltierte Straße. Der Rückenwind schiebt mich gen Ziel. Doch plötzlich taucht rechts das Aquila Privat Game Reserve auf. Das hatte ich nicht auf dem Film Eigentlich wollte ich in Touwsrivier einen Ruhetag einlegen und dann das Reservat besuchen.
Kurzerhand biege ich ab und miete mich ein. Nicht ganz billig, 2.400 Rand, rund 140 €, aber Vollpension, zwei Safaritouren durch den Park, hübsche Anlage und ich bekomme ein Upgrade auf ein großes Zimmer mit Aussicht. Es ist gerade Mittag und ich kann gleich mit dem Lunch loslegen. Am Nachmittag geht es auf Safari und es gibt tolle afrikanische Tiere in halbwegs natürlicher Umgebung zu sehen, teilweise aus allernächster Nähe: Zebras, Nashörner, Büffel und Hippos. Nur der einsame Elefant und die Löwen halten sich etwas in der Ferne.
Nach dem Abendessen gibt es noch eine „Star Safari“. Es ist eine klare Nacht. Ich lerne das Kreuz des Südens kennen und wo denn jetzt genau Süden liegt. Dazu noch das ein oder andere Sternbild. Im Teleskop sehe ich erstmalig Jupiter mit vier seiner Monde und Saturn mit seinem Ring.
Montag, 27. September 2021
Ruhetag im Aquila Game Reserve
Ich gönne mit noch einen Tag, denn hier gibt es auch Massagen. Verspätetes Geburtstagsgeschenk. Bei der Morgensafari konnte ich noch Rangkämpfe der Nashörner und der Hippos im Wasser beobachten.
Dienstag, 28. September 2021
Von Aquila nach Touwsrivier
Hach, die alter Leier. Ich erwache antriebsschwach, bedrückt, aufgeregt. Dabei steht heute nicht viel auf dem Programm. Ich will nach Touwsrivier, flache zwanzig Kilometer, und dort einen ruhigen Tag verbringen und Lebensmittel für die nächsten fünf Tage oder so einkaufen. Denn es kommt ne weile nichts mehr und auch die nächste Übernachtungsmöglichkeit ist dann noch 70 km entfernt. Zu stressig, alles an einem Tag.
Wenn ich mir meine Befindlichkeit anschaue, dann spüre ich, da ist viel Abwehr. Ich tu mich schwer damit, in die Annahme zu kommen. Die Aufregung kann ich relativ gut verstehen, teilweise zumindest. Nach wie vor ist ungewiss, wo ich langfahren kann, bei den vielen Zäunen und verschlossenen Gattern. Es ist auch Arbeit, den Weg abzuchecken, mit Karten, Navigationsprogrammen, Telefonieren, Emails. Auch Essen und Trinken sind ein Unsicherheitsfaktor.
Die Aufregung und das Bedrücktsein sitzen aber noch tiefer. Ich assoziiere Gefühle wie Einsamkeit, Verlassenheit, Heimweh. Langsam komme ich dem Gefühl näher und kann es annehmen. Ich kenne es, von den frühkindlichen Ereignissen abgesehen auch als älteres Kind. Krankenhaus, Kinderkur, wochenlang, fünf, sechs Jahre alt. Oder etwas älter, aber auch noch Grundschulalter, mit meinem ein Jahr älteren Bruder auf Freizeiten im Schwarzwald, oder in der Schweiz, wo es mir auch nicht wo wirklich gut ging.
Jetzt kann ich das sehen, betrauern und annehmen. Ich werde ruhiger und bekomme langsam wieder Lust auf mein Abenteuer hier in Südafrika. Ich verlasse das schicke Camp. Auf der Rechnung haben sie die zweite Übernachtung vergessen, immerhin rund achtzig Euro. Ich weise darauf hin, nicht nur weil ich ehrlich sein will, sondern auch, weil es sich besser anfühlt und ich es dieser Einrichtung und den Menschen gönne.
Nach einem kurzen Stück auf Asphalt, auch ein Kilometer auf der N1, biege ich auf eine Schotterpiste ab entlang der Bahnlinie nach Touwsrivier. Am Abzweig ein offenstehendes Gatter mit Verbotsschild. Na da bin ich ja mal gespannt, ob ich hier durchkomme. Zweimal quere ich die Bahnlinie, einmal bei offenem Tor, das andere Mal, bei einem Umspannwerk, muss ich das Tor selbst öffnen. Ich lande in der Pampa, der Weg verläuft sich im Gestrüpp. Wieder ein Stück zurück finde ich jedoch noch einen Weg, direkt neben der Bahn, um ein Bahngebäude drumrum.
Ohne weitere Irritationen lande ich in Touwsrivier. Ein ruhiges Städtchen mit einigen Geschäften und einfachen kleinen Häusern. Das Hotel hat zu. An der N1 gibt es jedoch noch das Komkyk Accomodation und ich miete ein Häuschen für 25 Euro.