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Marokko 2023 - Von Marrakesch nach Ait Bougoumez, 24. Februar bis 1. März 2023

Freitag, 24. Februar 2023

Von Marrakesch nach Touama (70 km, 700 Höhenmeter)

Abenteuer Marokko! Aber sooo?

Anders als sonst zu Beginn meiner Radtouren zieht es mich schon bald raus aus der Stadt, raus aus der Hektik, dem Lärm und Tourirummel. Das Wetter passt einigermaßen. Es hat die Nacht durch viel geregnet, aber pünktlich zu meinem Aufbruch hört es auf. Es hat um die zehn Grad. Wetter wie zuhause also. Zum Abschied fahre ich quer über den Djemaa-el-Fna und dann über den Derb Debachi raus aus der Stadt.

 

Kaum raus aus Marrakesch überholen mich zwei flotte, leicht bepackte MTB-Fahrer. Nur kurz komme ich mir zu langsam vor. Doch schnell wird mir klar, ich bin nicht hier aus sportlichen Gründen, vielmehr um gut mit mir verbunden zu sein. Ich bin ja auch nicht mehr der jüngste und ich schätze es, meine Kräfte gut einzuteilen und ganz im Hier und Jetzt zu sein. An meine körperlichen Grenzen werde ich noch früh genug kommen. Ich lasse mich etwas tiefer in meinen Sattel sinken, entspanne und genieße die leichte Bewegung an der frischen Luft.

 

Anders als gewohnt radle ich nicht auf die schneebedeckte Atlaskette zu. Es ist alles grau und hängt in Wolken. Auch die Landschaft ist nicht so prickelnd, oft vermülltes Brachland, randvolle Wassergräben vom vielen Regen. Zwischendurch fängt es wieder an zu etwas nieseln und zu tröpfeln. Aber Regenjacke an und gut ist. Ich will ja nicht nur Schönwetterfahrer sein. Und wie es mit dem Schnee in den Höhenlagen ist, werde ich ja irgendwann dann sehen.

 

Bevor ich auf die Piste abbiege, trinke ich noch einen Tee in einem Straßencafé und plausche mit den anderen Gästen. Meine Bedenken, dass es auf der Nebenstrecke schwierige Furten geben könnte, verwerfe ich. Ich kann ja im Notfall auch umkehren und will ja nicht vor Schwierigkeiten zurückschrecken, bevor sie begonnen haben.

Anfangs läuft es noch gut auf der Piste, aber als die Salinen in Sichtweise kommen, wird es immer matschiger. Ein klebriges Zeug. Schnell ist mein Rad eingesaut und da passiert es – Katastophe Nummer eins – der Carbonriemen springt vom Ritzel. Das fängt ja super an! Hinterrad ausgebaut und Riemen wieder aufgefädelt. Kurz darauf nochmal. Das gibt es doch wohl nicht. Der Lehm ist irre klebrig. Der Rahmen streift den Pamps vom Reifen ab, natürlich auch am Tretlager, wo er sich in den Kerben des Carbonriemens sammelt. Kein Wunder, dass der Riemen abspringt. Für solche Fälle ist der Riemen schlecht geeignet.

 

Als der Riemen zum dritten Mal abspringt, mit ich mit meiner Weisheit am Ende und beginne mein Rad zu schieben. Umzukehren scheint mir keine gute Option, denn ich bin schon zu weit gekommen auf der Matschpiste. Bis zur asphaltierten Straße sind es vielleicht noch fünf Kilometer. Mit den Händen streife ich den Dreck immer wieder vom Reifen und Rahmen. Mehrfach muss ich den Bach furten, barfuß, das haut mich jetzt auch nicht mehr um.

 

Es wird immer mühseliger voranzukommen. Bald geht es nur noch Meter für Meter voran und ist superanstrengend. Ich erinnere mich an die Tour in Kirgisistan entlang der ehemaligen sowjetischen Grenze. Irre Steigung, 300 Höhenmeter auf gut einem Kilometer. Ähnlich anstrengend ist es hier, aber leider kein Ende in Sicht. Was für eine grandiose Scheisse! Katastrophe Nummer zwei! Ich stecke fest, kein vor und zurück. Und das gleich am ersten Tag. Jetzt hilft nur noch Hingabe und die Hoffnung des Verzweifelten.

 

Ich stehe an einer Weggabelung und bin mir unklar, wie weiter. Ich lasse das Rad liegen und sondiere die Lage, was auch immer es zu sondieren gibt. Am gegenüberliegenden Ufer entdecke ich doch tatsächlich einen Menschen, der sich an den Salinen zu schaffen macht, in der ansonsten menschenleeren Gegend. Er entdeckt auch mich und nach erfolglosem Kommunizieren per Winken, kommt er in seinen Gummistiefeln durch den Bach zu mir rüber. Ein kleiner, rundlicher, freundlicher Marokkaner. Zähne hat er nur noch einzelne. Er spricht viel und lacht. Mein Retter in der Not.

 

Er versteht schnell das Problem, gemeinsam schieben und würgen wir das Rad durch den Matsch. Nicht allzu weit und wir sind raus aus dem Schlimmsten. Er zerrt einen Wasserschlauch aus dem Gebüsch und spritzt das Rad damit ab. Das dauert, denn das Zeug klebt fantastisch. Da passiert das nächste Malheur – Katastrophe Nummer drei, die vielleicht die beiden vorangegangenen noch toppt: bei einer unspektakulären Bewegung fährt mir ein Hexenschuss in den Rücken! Ich gehe vor Schmerz etwas in die Knie. Aber so schnell der Schuss kam, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Oh, oh, oh, auweija. Was hat das zu bedeuten? Achtsamkeit und behutsamer Umgang mit meinen Energiereserven scheint mir angesagt.

 

Irgendwann ist der schlimmste Dreck weg und auch der Antrieb wieder sauber, allerdings immer noch ausgehängt. Ich schiebe mein Rad also weiter neben ihm her, eine kleine Anhöhe hinauf, wo ein paar Häuser stehen. Ich spekuliere darauf, dass er mich zu sich nach Hause einlädt, denn es ist langsam auch schon später Nachmittag und mein Tagesziel Touama zu erreichen, habe ich mir schon vor einer Weile abgeschminkt. Auf der Anhöhe treffen wir einen jungen Marokkaner, der französisch spricht. Ich frage nach einem Platz zum Schlafen. Eine Einladung bleibt jedoch aus und er verweist mich auf das nächste Dorf, etwas fünf Kilometer entfernt. Dort gäbe es „beaucoup“.

Ich ziehe den Riemen wieder auf. Meinem Retter gebe ich zum Abschied 100 Dirham. Das ist mir seine Hilfe mindestens wert. Er ist offensichtlich erstaunt, nimmt das Geld jedoch entgegen. Ich fahre los. Irgendwann holt mich der junge Franzose auf seinem Roller ein. Er begleitet mich ins Dorf und fragt dort nach einem Zimmer für mich. Es gibt aber nichts. Auch Taxi meint er gäbe es nicht. Es sind noch 16 Kilometer bis zu der Herberge in Touama an der Route National von Marrakesch nach Ouarzazate. Das scheint mir machbar, auch wenn ich die Wegbeschaffenheit nicht kenne und vielleicht ins Dunkle komme. Es geht jedoch überwiegend bergab und – oh Wunder – es bleibt asphaltiert, sogar als ich nochmals auf eine kleine Nebenstraße abbiege.

 

Die Bewölkung hat etwas aufgelockert und die Landschaft ist in schönes Abendlicht getaucht. Endlich mal Genuss nach einigem Elend. Noch im Hellen erreiche ich die Herberge, Dar Oudar, bekomme ein einfaches Zimmer, eine warme Dusche und ein Hackfleisch-Sandwich zum Abendessen. Jetzt bereitet mir nur noch der Hexenschuss Sorgen. Insgesamt vier Mal hat er mich getroffen und hat sich auch gleich wieder verzogen bis auf ein eher dumpfes Spannungsgefühl oberhalb des Kreuzbeines. Ein gutes Warnsignal, mich nicht zu übernehmen.

Samstag, 25. Februar 2023

Von Touama nach Demnate (75 km, 1.500 Höhenmeter)

Auf und Ab durchs Vorgebirge

Frühstück gibt es keines in der Herberge, dafür ein Stück weiter in einem Straßencafé: Tee, Omelette und Brot. Die Straße ist trocken und die Bewölkung lockert ganz langsam auf. Vier Grad ist es frisch am Morgen um acht Uhr auf rund 900 Meter. Auf asphaltiertem Sträßchen gen es in stetem Auf und Ab durchs Vorgebirge des Hohen Atlas. Es ist dieser wundervolle Kontrast von frisch grünen Feldern, die in der Sonne leuchten und der rotbraunen Farbe der Erde und der Berge, die ich an Marokko so liebe. Dazu diese einfachen Dörfer, freundlich grüßende Menschen am Straßenrand und in den wenigen Autos, die mir entgegenkommen. Am Horizont die hohen Berge des Atlas, nur vereinzelt mit Schneefeldern bedeckt. Und eine großartige Stille, die über allem liegt.

 

Zum Stausee Moulay Youssef geht es auf gewundener Straße durch lichten Kiefernwald. Auf der Staumauer tummeln sich ein paar marokkanische Ausflügler. Jetzt geht es fünfzehn Kilometer nur bergauf bis Sidi Jacoub. Für Kinder bin ich ein Ereignis. Sie grüßen, rufen, laufen mir hinterher. Ich halte auch mal an, schüttle Hände und unterhalte mich. Deutschland finden sie alle toll. Tolle Autos, tolles Geld. Wer will es ihnen verdenken? Auch Mädchen grüßen sehr charmant, was den alten Herrn erfreut, und lachen sich dann gerne mal kaputt.

Demnate ist eine quirlige, lebendige Stadt. Ich rolle langsam hindurch. Bis zu meiner Unterkunft sind es noch 5 km bergauf, vorbei an einem belebten Park mit Aussicht auf die Stadt. Von einem Getränkestand aus werde ich von einem jungen Marokkaner mit zusammengebunden Locken auf deutsch herbeigerufen. Ich trinke einen Orangensaft bei ihm und ergibt mir noch einen gewürzten Kaffee aus, etwas scharf mit Ingwer. Dazu Rosmarin, Thymian und andere Kräuter aus der Region, die er mir zeigt. Leckere Mischung. Youssef hat in Rabat deutsch gelernt, drei Jahre lang, um als Fremdenführer zu arbeiten. Er ist verzückt von Deutschland, war aber noch nie da.

 

Ich nehme mir ein Zimmer im Riad Aghbalou, eine große Anlage in eigenwilligem, wildem Stilgemisch. Davor stehen vier Wohnmobile, nicht so das, wonach ich suche. Zwei davon gehören jedoch französischen Familien, die ein bzw. eineinhalb Jahre damit durch die Welt gereist sind und auch noch weiter wollen. Sehr sympathische Menschen und pfiffige Kids zwischen zehn und fünfzehn Jahren.

Sonntag, 26. Februar 2023

Ruhetag in Demnate

Wie vorhergesagt regnet es den ganzen Tag. Ich lese, schreibe und tatsächlich: ich gebe Shiatsu, Hafid, der hier den Laden schmeißt. Die Köchin will auch und strahlt mich an. Auch Hafid gibt sein okay, sofern das nötig sein sollte. Doch dann erscheint sie doch nicht, auch nicht, nachdem Hafid nochmal nach ihr geschaut hat.

 

Abends trudelt eine weitere Familie aus Pau in Frankreich ein, die von Ouarzazate mit ihrem kleinen Wagen über den schneebedeckten Pass gefahren sind. War wohl ziemlich abenteuerlich. Sie laden mich zu einem Kartenspiel ein, bei dem es auf Reaktionsschnelle ankommt. Ich hab jedoch nicht die geringste Chance gegenüber der Mutter und dem zehnjährigen Arthur.

Montag, 27. Februar 2023

Von Demnate nach Ait Blal (36 km, 1.200 Höhenmeter)

Der Sonne und dem Schnee entgegen

Bis Ait Bougoumez an einem Tag, das sind zuviele Höhenmeter. Auf halber Strecke gibt es eine Gite, mein Tagesziel. Bis dahin geht es über fünf Bergketten und jede ist ein Stück höher. Als ich losfahre, kommt auch passend die Sonne raus. Es ist zwar auch in der Sonne recht frisch, aber da es fast nur bergauf geht, wird mir schnell warm und ein dünnes Wollshirt reicht aus.

 

Zunächst geht es an einfachen Streusiedlungen oder auch kleinen Dörfern ohne sonderlichen Charme vorbei. Ich quere einen reißenden Fluss mit brauner Brühe. Der Verkehr nimmt stetig ab und die Dörfer und die Landschaft werden immer hübscher. Die asphaltierte Straße schraubt sich an den steilen Bergflanken nach oben, vorbei an grünen Feldern und blühenden Mandelbäumen. Bald schon kommen hohe, schneebedeckte Gipfel in Sicht. Am Nachmittag erreiche ich Ait Blal, ein lebndiges Örtchen mit einigem Leben auf der Straße.

 

Die Gite Tizi Noubadou liegt am Rand des Ortes auf einem Grat mit schöner Aussicht. Sie ist einfach, aber ganz nett gestaltet, zumindest kein wilder Stilmix. Das Bett kostet 160 Dirham, rund 15 Euro. Auf die warme Dusche muss ich eine halbe Stunde warten.

Dienstag, 28. Februar 2023

Von Ait Blal nach Ait Bougoumez (42 km, 1.000 Höhenmeter)

Pass im Schnee

Es dürfte so um die null Grad haben auf rund 1.600 m Höhe und ich bin sehr froh über meine Handschuhe. Die Sonne zaubert ein schönes Licht auf die Berglandschaft. Auf gleichbleibender Höhe in radle ich in gemütlichem Auf und Ab entlang einer steilen Bergflanke. Die Aussicht ist großartig. Nach zehn Kilometern beginnt der Aufstieg zu meinem ersten Pass, teilweise recht steil, 15 Grad Steigung, und mir wird schnell warm. Ab 1.800 Metern liegt Schnee und all die hohen Berge erstrahlen in weiß.

Der Pass ist unspektakulär. Vor mir liegt eine lange Abfahrt durch die erfrischende Winterluft. Am Eingang ins Tal von Ait Bougoumez winkt mich ein Polizist aus seinem Auto herbei. Er ist superfreundlich. Wir tauschen Telefonnummern aus. Er kennt meinen vollständigen Namen und ich bin verblüfft. Dann wird klar, der Buschfunk funktioniert und sie haben ein Auge auf mich.

 

Ich erreiche die Gite Timit. Sie ist schon sehr basic und außerdem gerade eine Baustelle. Ich lasse mich darauf ein und werde von den Bauarbeitern zum Essen eingeladen, alle mit Händen aus einer Tajine. Schmeckt sehr lecker.

Über den Kegelberg mit dem alten Getreidespeicher mache ich mich auf den Weg zum Campus vivante. Von oben gibt es eine tolle Aussicht und ich sehe die Straße, die gen Süden nach Bou Thrarar führt, über einen rund 3.000 Meter hohen Pass, eine meiner Optionen für die Weiterfahrt. Sie versinkt voll im Schnee. Kaum Aussicht, da rüber zu kommen.

 

Im Campus vivante treffe ich Daniela, eine Schweizerin, die hier seit eineienhalb Jahren lebt und arbeitet, sowie Itto, die die Schule leitet. Ich erfahre, dass die Straße gen Cathedrale und Imilchil, mein Favorit und auch über 2.800 Meter hoch, vom Schneepflug freigeräumt ist. Ein Glück, ich muss nicht umdrehen.

Mittwoch, 1. März 2023

Ruhetag in Ait Bougoumez

Nach dem Frühstück fahre ich wieder zur Schule. Ich bekomme eine Führung von Mohammed Aziz. Es gibt eine Grund- und Hauptschule und auch eine Ausbildung für Erwachsene in naachhaltigem Tourismus. Die Klassen sind auf zehn Kinder begrenzt, anders als in den normalen Schulen. Die Kinder sollen gerne zur Schule kommen und auch wieder glüclich nach Hause gehen. Wir gehen durch alle Klassen. In einer fünften gibt es gerade Sexualkunde, in einer anderen ist der internationale Frauentag Thema. Es werden viele Frendsrpachen unterrichtet, denn schon Marrokanisch ist für die Berber-Bevölkerung eine Fremdsprache. Dazu kommt Hocharabisch, Französisch, Englisch. Auch Gebärdensprache sehe ich in den Klassen und wird von vielen als Ergänzung benutzt. Von Fabienne, einer Deutschen, die seit sechs Jahren den Lehrfkräften Gebärdensprache unterrichtet, erfahre ich, dass es viele Gehörgeschädigte unter der Bergbevölkerung gibt.

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