#006 - Kroatien (Teil 2)
Von der Insel Cres zurück ans Festland und auf dem Eurovelo 8 entlang der dalmatischen Küste bis nach Split, Abstecher zu den Plitwitzer Seen
14. bis 22. Dezember 2024, sieben Etappen, zwei Ruhetage, 590 km, 6.500 Höhenmeter
Ein grauer Tag beginnt. Im leichten Nieselregen fahre ich übern Berg zur Fähre rüber nach Krk. Mal gefahren werden und nicht strampeln müssen, ist auch mal schön, nach 25 Minuten aber schon vorbei. Krk quere ich überwiegend auf der Hauptstraße. Auch landschaftlich ist es eher öde. Dann über die hohe Brücke aufs Festland und zwischen dicken Straßen rauf auf 200 Meter.
Hier ist es endlich still und verträumt. Die Straße schlängelt sich südwärts an einem steilen Bergrücken, durch einsame Örtchen, mal ne Burg, mal ein See. In den Tälern waren Wolken. Dahinter in der Ferne das Meer.
Der Bergrücken ist recht steil, so dass ich keine geeigneten Zeltplätze ausmachen kann. Also frag ich mal in einer Kneipe. Der Wirt schickt mich aber an die Küste. Da gäbe es Hotels. Ein Garten oder neben der Kirche, das gefällt ihm nicht.
Ich suche hier und da - nichts. Eine baufällige Kapelle - abgeschlossen. Dann doch ein Weglein den Berg rauf und daran ein passendes Fleckchen. Zum Einschlafen zeigt sich der Vollmond.
Der begrüßt mich untergehend auch am nächsten Morgen und wenig später die Sonne, die über das Küstengebirge kriecht. Das asphaltierte Sträßchen schlängelt sich jetzt den Berg hoch, auf über 700 Meter. Die Aussicht auf die Küste und die vorgelagerten Inseln ist grandios. Auch Istrien ist in der Ferne gut zu sehen.
Oben liegt Schnee, teilweise auch auf der Straße. Es weht ein frischer Wind, der die Rotoren eines Wildpark antreibt.
Da ich zu den Plitwitzer Seen will, muss ich landeinwärts ins Tal. Dort empfängt mich dichter Nebel. Die Gegend ist nicht nur von der Sonne verlassen. Vor einem verschlossenen Restaurant mache ich ne Pause. Bei den wenigen Ansiedlungen mache ich regelmäßig Bekanntschaft mit frei laufenden Hunden. Wenn sie mir zu nahe kommen, bleibe ich stehen und drohe zurück. Schon drehen sie um. Ob das immer so gut klappt?
Die eisige Nacht hat mein Zelt mit Rauhreif überzogen. Minus fünf Grad. Der dichte Nebel verzieht sich und die Morgensonne zaubert einen roten Schimmer zwischen die restlichen Wolken und den Berg, über den ich rüber muss. So wird mir langsam warm. Die nervigen Kläffer bleiben im Tal zurück.
Oben auf rund 700 Metern liegt ordentlich Schnee, so um die dreißig Zentimeter. Endlich kommt mal wieder ein Lädchen vorbei. Das erste seit zwei Tagen. Ich will durch ein kleines Seitental direkt zu den Plitwitzer Seen. Der Weg ist aber nur ein Stück, solange Häuser und die unvermeidlichen Hunde gibt, geräumt. Danach nur noch Tierspuren. Kann ich vergessen. Also zwanzig Kilometer extra auf der Hauptstraße. D1 Zagreb Split. Etwas mehr Verkehr, auch LKW. Ich quäle mich zwei kleinere Hügel hoch. Die Kälte oder was auch immer zehrt ganz schön. Aber ein warmes Bettchen lockt.
Davor, noch an der ruhigen Straße, eine Bushaltestelle. Die Sonne scheint. Ich mach Pause und mache ein Schläfchen auf der Bank. Jacke offen, keine Angst auszukühlen, so schön wärmt die Sonne. Meine erste richtig warme Pause auf meiner Tour. Drumherum Schneelandschaft.
Bei den Plitwitzer Seen habe ich mir ein Hotel gebucht. Zwei Nächte. Mal wieder richtig essen und in aller Ruhe die Seen angucken.
Wie schon beim Abendessen - außer mir noch zwei Paare im großen Essenssaal - ist auch der Früstückssaal im 200-Zimmer-Hotel sehr dünn besucht. Das riesige Büfett ist erst gar nicht aufgebaut. Ich gucke auf den Schildern, was es gibt, bestelle und bekomme das dann an meinem Tisch serviert. Im Sommer wäre alles voll. "Crazy", meint der Kellner. Alle übrigen, auch nicht kleinen Hotels am Platze haben übrigens geschlossen.
Über den stellenweise vereisten Weg gehe ich die paar Meter runter zur Anlegestelle. Zwei Paare besteigen das Ausflugsboot und schippern mit mir gemächlich über den See. Die Szenerie ist jetzt schon bezaubernd mit See, blauem Himmel, kahlen Wäldern im Schnee.
Ich spaziere talwärts auf schmalem Pfad von See zu See. Das superklare Wasser plätschert mal verspielt, mal wild über die Kalk-, genauer gesagt Travertinterrassen. Das rührt mich an, entspannt mich und lässt mich mein Sein genießen. Mein "innerer Kritiker", dem es nie schnell genug geht, der immer schon weiter sein will, oder irgendwo anders, nur nicht hier, der genau weiß, dass irgendwas gerade nicht stimmt, aber keine Ahnung hat, was das sein könnte, hält mal die Klappe.
Ich bin sehr froh darüber, zwei Nächte im Hotel gebucht zu haben, das trägt zu meinem Entspanntsein bei.
Vor ein paar Tagen hatte ich eine Übung zu meinem inneren Kritiker gemacht. Mike Hellwig - Radikale Kreativität. Mir helfen seine Bücher sehr. Er hat Kanten und Ecken. Er verfolgt nicht den Ansatz, jetzt hab dich doch mal lieb, das kann doch nicht so schwer sein, ich kenne da ein paar Tricks. Ihm geht es um die Begegnung mit den dunklen Seiten, "radikal erlaubend", wie er sagt. Mir gefällt bedingungslose Annahme besser, aber das ist graduell. Haha, auch ein Fremdwort.
In der Übung geht es darum, intuitiv, im Kontakt mit dem eigenen Körpergefühl ein Bild zu malen, wie sich der innere Kritiker fühlt. Es klappte bei mir erstaunlich gut. Ich konnte wahrnehmen, dass mein innerer Kritiker todunglücklich ist über den Scheissjob, den er hat, nämlich mich anzutreiben. Er will eigentlich etwas anderes, Liebe, was sonst. Er weiß nur nicht wie das geht und ist deshalb nur am Rennen und Suchen. Ich ließ die Trauer darüber zu. Mehr ist nicht notwendig. Die Heilung kommt von selbst.
Zurück an den Plitwitzer Seen. Es kommen mir immer mehr Menschen entgegen. Ein Stück vor mir kniet ein junge Frau und fotografiert das über Stufen plätschernde Wasser. Sie steht auf, wir schauen uns ins Gesicht. "Kai?" fragte sie. Ich stehe noch etwas auf dem Schlauch. Klar, ich kenne sie, nur woher. Thalea! Wir haben uns ein paar mal beim Aikido in Bremen getroffen. Was für ein Hammerzufall. Sie ist mit ihrem Freund, der in Pula, Istrien, ein Praxissemester macht, unterwegs. Was für eine schöne Begegnung. Selfie, Umarmung, und Tschüss.
Der nächste Morgen beschert mir kurz einen Moment der Abenteuerlust. Und schon ist das Gefühl wieder weg. Ich freue mich darüber, wünsche es mir aber etwas stetiger. Erstaunlich, dass es so kurzlebig ist und sich schnell wieder versteckt. Natürlich mag ich das Gefühl und bin mir auch recht sicher, dass einiges davon in mir steckt.
Zumindest bin ich ganz entspannt heute beim Wechsel von Hotelzimmer mit Halbpension zur freien Wildbahn. Ich weiß ja auch noch nicht, dass heute mal wieder ein echter "Herr Demske" auf mich wartet. Das ist meine Bezeichnung für Dinge, die schief laufen, weil ich nicht nachdenke, nachlässig bin oder irgendwas verbocke. Heute sah das so aus:
Ich radle los, über den ersten Berg, 200 Meter rauf und wieder runter. Dort ist ein Supermarkt. Ich kaufe ein und verstaue alles. Dann ein Blick aufs Handy, wie es denn jetzt weitergeht. Es ist nicht an seinem Platz! Ach du Scheisse! Der Reißverschluss der Jackentasche, in der ich es verwahre, ist auf. Mir schwant Übles. Ich durchwühle alle Möglichkeiten. Nichts! Ich denke nach, wann ich es zuletzt hatte. Im Hotel. Auweia, entweder habe ich es dort liegen gelassen. Oder unterwegs verloren. Was für eine Riesenscheisse! Ich bin in einem leichten Schockzustand.
Zumindest gibt es auch eine Stimme, die sagt, ich finde es wieder. Der "Demskeeffekt" hat ja die positive Seite, nicht alles kontrollieren zu müssen und dem Schicksal zu vertrauen. So was Blödes sollte aber eigentlich nicht passieren. Da wäre ein bisschen mehr Umsicht und Kontrolle ganz angebracht.
Wie schön wäre es, wenn ich einfach weiterradeln könnte. Jetzt muss ich alles wieder zurück. Mit ungewissem Ergebnis. Ich checke jeden Meter ab. Das Adrenalin gibt mir Power für den Anstieg. Nach einem Kilometer komme ich zu der Stelle, wo ich austreten war. Ne kleine Einfahrt rein. Dann ins Gebüsch. Und was liegt da? Mein Handy! Unglaublich! Halleluja! Ich danke dem Himmel! So viel Glück hab ich kaum verdient. Ich bin selig.
Mega erleichtert verlasse ich die stark befahrene Hauptstraße D1 und biege auf die D20 ab. Wenig Verkehr, kaum LKW. Über zwei Berge, einer fast tausend Meter hoch, fahre ich Richtung Küste. Irgendwann biegen ich auf ein noch kleineres Sträßchen ab. Kleine, ärmliche Gehöfte. Viele verfallene Gebäude. Ein paar blöde Köter.
Landschaftlich ganz reizvoll. Und es liegt viel Schnee, obwohl ich nur auf 500 Meter bin. Ist bestimmt ein halber Meter. Wie soll ich hier einen Zeltplatz finden? Abzweigung geräumte Wege führen ausnahmslos zu Häusern. Wenn kein Wunder passiert, muss ich wohl in ein verlassenen Haus. Zwei Stunden fahre ich durch diese Gegend. Nichts bietet sich an. Ich checke zwei Häuser. Dafür muss ich durch den tiefen Schnee stapfen. Beide komplett vermüllt. Das dritte ist ein Treffer und ich fühle mich ganz wohl.
Ich habe ne ruhige Nacht in der ollen Hütte. Klarer Himmel, leichter Nebel. Trockenes Zelt. Arschkalt: minus fünf. Die Landschaft ist zart mit Rauhreif überzogen. Zauberhaft. Ich radle abwechselnd in der Sonne oder durch dichte Nebelbänke.
Auf den zehn Kilometern bis Lovinac begegnet mir kein einziges Auto. Dort gibt es ein Lädchen. Darin viele Männer, die maskuline Energie ausstrahlen. Kaufen ein, wärmen sich auf, unterhalten sich. Keiner interessiert sich für mich. Die einzige Frau an der Kasse. Keine einladende Atmosphäre. Ich fühle mich fremd.
Dasselbe im kleinen Café nebenan. Nur Männer, alle dicker Bauch. Eine junge Frau bedient. Ich bin ein Fremdkörper.
Es ist sehr selten in Kroatien, dass mal ein freundlicher Kontakt entsteht. Ein Blick, ein Lächeln, ein freundlicher Gruß, ein Hupen im Vorüberfahren, irgendwas in der Art. Ich vermute, dass viele irritiert sind von dem einsamen Radler im Winter.
Doch dann, am Abend, nicht mehr weit bis Zadar. Ein Baustelle. Ein Arbeiter zeigt mir, wie ich dran vorbeikomme. Er lacht mich an, will wissen, wo ich herkomme, schaltet schnell auf deutsch, reicht mir die Hand. Zeigt mir nochmal den Weg. Zadar, immer geradeaus! Schulterklopfen zum Abschied.
Bis dahin muss ich noch ein gutes Stück radeln. Ein mittlerer Berg. Auf der anderen Seite plötzlich kein Schnee mehr. Weite Sicht. Ich kann endlich mal wieder den Charakter der Vegetation wahrnehmen. Wacholder, kahle Büsche und kleine Bäume, etwas mediterran anmutend. Gefällt mir gut, das Gefühl: neu und anders. Auch wärmer.
Mittags hab ich schon über fünfzig Kilometer und beschließe, bis Zadar durchzuziehen. 120 Kilometer, insgesamt 1.000 Höhenmeter. Bis 18 Uhr sollte ich das schaffen. Also eine Stunde in der Dunkelheit. Letzte Stärkung an einem See, der aber der letzte, abgeschnittene Zipfel eines tiefgehenden Fjords ist.
In Zadar bleibe ich zwei Nächte. Morgen soll Sauwetter sein. Die abendliche Altstadt mit engen Gassen präsentiert sich hübsch und touristisch belebt.
Das Wetter am Ruhetag in Zadar ist elend. Regen und Sturm. Wie gut, dass ich nicht auf Achse bin. Für einen kleinen Gang durch die Altstadt reicht es.
Wintersonnenwende. Die Tage werden wieder länger, juhu. Wobei ich gar nicht so genau weiß, ob das auch für mich gilt. Denn ich fahre ja schon geraume Zeit nach Süden, wodurch meine Tage schon vor der Sonnenwende länger wurden. Oder zumindest nicht so schnell kürzer, wie für die armen Zuhausegebliebenen.
Jedenfalls hatte ich heute Sonne satt. Kein einziges Wölkchen am Himmel. Ich setze entsprechend dem Verlauf des Eurovelo 8, der Mittelmeerroute, mit der Fähre auf die Insel Umljag über und an deren Süden wieder zurück aufs Festland. Im Velebitgebirge im Nordenosten, 1.700 Meter hoch, liegt frischer Schnee.
Es geht immer mal wieder über Schotter und an einem kurzen Steinbrück macht es unter mir Knacks und mein Carbonriemen liegt im Staub. Schon der zweite, der mir reißt. Hätte von mir aus nicht sein müssen. Ich überschlage, dass er 8.000 Kilometer runter hat. Scheint mir nicht so schlecht. Gewechselt ist er fix. Und der neue läuft schön weich.
Ich komme an schönen Küstenabschnitten, Fjorde, Lagunen, vorgelagerte Inseln, vorbei mit wunderbaren Zeltplätzen. Ist aber noch viel zu früh. In der Dämmerung finde ich einen in einer Bucht mit Kiesstrand. Partymusik in der Ferne, ebenso Verkehrslärm. Ein einsames kleines Fischerboot in der Bucht.
Meine Frühstücksmilch brennt über der Gasflamme leider an. Zum Glück ist mein Wasser nur zur Hälfte gefroren. So gibt es Müsli mit Wasser. Den Getreidekaffee mit der Milch mag ich nur zur Hälfte trinken. Mit dem Rest kratze ich den Topf etwas sauber.
Über einen von Waldbrand gezeichneten Hang muss ich in die Berge. Durch einsame, verträumte Dörfer schlängelt sich die Straße. Einige schrottreife oder noch fahrbare VW-Käfer oder Renault R4 laufen mir über den Weg.
Trogir hat ne schöne Altstadt auf einer kleinen Insel. Split kommt in Sicht. Noch 25 Kilometer entlang der Strandpromenade. Restaurants. Alte Gemäuer. Parkplätze. Marinas. Mal ein kleiner Strand. Das alles bildet den Vordergrund für die Stadtkulisse vor hohen Bergen, dazwischen das Meer. Sehr schön zu readeln. Erinnert mich an Kapstadt mit dem Tafelberg. Oder auch die Bucht von Palma de Mallorca.
Der Genuss hat ein Ende. Die Wasserseite wird von Gewerbe und Industrie eingenommen, ich auf schlimme Straßen vertrieben. Zwischendurch mal Holperpiste zwischen alten römischen Grundmauern.
So lande ich im Zentrum. Zanetti begrüßt mich in der hübschen, kleinen Wohnung direkt am Rand der Altstadt. Hier bleibe ich eine Woche.