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#005 - Slowenien (Teil 2) - Triest (I) - Kroatien (Teil 1)

Von Ljubljana über Trieste, entlang der Küste von Istrien bis zur Insel Cres

8. bis 13. Dezember 2024, fünf Etappen, ein Ruhetag, 450 km, 4.700 Höhenmeter

Schlecht gelaunt verlasse ich Ljubljana. Meine Trekkingsandalen sind verschwunden und ich habe keine Ahnung, wie das passiert ist. Doppelt ärgerlich. X-mal stelle ich das Apartment auf den Kopf. Sie wollen einfach nicht auftauchen. Ich muss sie wohl beim letzten Zeltplatz vergessen haben. Oder irgendwie unterwegs verloren. Ich habe keine plausible Erklärung, bin etwas traurig und tröste mich. Gut, kann ich mir morgen in Trieste neue kaufen. Kleines Sub-Abenteuer.

Draußen ist es ganz grau und ungemütlich. Ich muss zwanzig Kilometer an der Hauptstraße lang, bis ich die ganzen Vorstädte hinter mir habe. Wenigstens gibt es einen Radweg und der Verkehr am Sonntag Vormittag hält sich in Grenzen. 

Irgendwann kommen Berge und ich fahre auf hübschen kleinen Sträßchen weiter. Dann setzt der Wind ein, immer mehr, irgendwann Sturm. Böen bis neunzig km/h. Meist kommt der Wind von hinten. Ganz schön spooky, wie er mich sogar Berge hochschiebt. Erst recht, wenn mich ne Bö von der Seite oder vorne erwischt.

Hunger bekomme ich auch in dieser verlassenen Gegend und wie gerufen taucht ein gut besuchtes Gostilna auf, sehr italienisch geprägt, Speisekarte und Gespräche an den Nachbartischen. Bevor es ganz dunkel wird, suche ich mir einen windgeschützten Zeltplatz neben einem Weinberg. Bäume in sicherer Entfernung, damit mich kein Ast trifft oder Schlimmeres. 

Nach über neun Stunden Schlaf begrüßt mich der nächste Morgen um halb sechs mit sternenklarem Himmel und Windstille. Komisch, eigentlich sind für Triest zwei Tage Sturm vorhergesagt. Ein paar wenige Plusgrade fühlen sich für mich mittlerweile ganz warm an und ich mache zum ersten Mal Qi Gong.

Dann fahr ich los. Noch ein paar Hügel, endlich sehe ich zum ersten Mal das Mittelmeer und dann geht es steil runter in die Stadt. Mittlerweile weht doch wieder etwas Wind. Ich suche das größte Sportgeschäft auf. Keine Wandersandalen da. "Impossible", um diese Jahreszeit in Trieste welche zu bekommen. Ich frage noch eine andere Verkäuferin. Hm, Avventura, sagt sie ganz leise. In dem Minilädchen gleich um die Ecke werde ich stürmisch begrüßt. Größe? Und schon verschwindet die Verkäuferin und bringt zwei Paare mit. Das eine macht mich glücklich und ich kaufe es.

Jetzt zur Fähre über die Bucht nach Muggia. Jetzt stürmt es schlimmer als gestern, gar gewaltig. Gar nicht so leicht, mich auf den offenen Flächen am Hafen zu bewegen. Den Abfahrtsort finde ich nur mit Hilfe der Polizei. Mehr als ein Hinweisschild ist da nicht. Kein Mensch weit und breit. Aber die Abfahrtszeit auf dem Schild passt. Nur leider kommt kein Schiff und ich muss gegen den Wind in die Stadt zurück und um die Bucht außen rum radeln. 

 

Der Sturm haut mich fast um. Ich schaffe so gerade ein Foto von der monströs-unbescheidenen Piazza. Das müsste der berühmte Bora sein. Die WetterApp sagt, es bleibt so einschließlich morgen. Böen mit achtzig, neunzig kmh. Der Bora kann auch 250, lese ich bei Wikipedia. Da ist das hier ja noch gar nichts. Ich mache mir allerdings Sorgen, wie weit ich komme. Bei dem Sturm an der Küste lang? Ich probiere mal, wie weit ich komme.

Vorher noch ein Kaffee und ne Cremeschnitte in einem italienisch-quasseligen Café. Dann weiter. Der Wind kommt meist von hinten, aber irgendwie immer mal von allen Seiten. Je länger ich fahre, umso mehr nimmt der Wind ab und es läuft ganz gut. Der Radweg ist gut ausgebaut und ausgeschildert. Er orientiert sich an einer alten Bahnstrecke von Trieste nach Poreč, italienisch Parenzana. Zwei Male geht es durch alte Bahntunnel. Die Vegetation wird auch langsam - ich warte schon lange darauf - etwas mediterraner. Olivenhaine, Oleander, dann auch Pinien.


Ich lande am Westzipfel von Istrien. Romantisch und verlassen. Mein Zelt baue  ich auf einem leeren Campingplatz auf. Der Leuchtturm nebenan wacht über mich.

Zehn Stunden geschlafen. Trotzdem bin ich noch matschig. Ein Teil will lieber noch ganz klein eingekuschelt bleiben. Ein anderer übernimmt die Steuerung, macht Frühstück und so. Das hilft erstaunlicherweise und motiviert radle ich los, meist auf kleinen Wegen entlang der Küste, vorbei an schönen Ausblicken. Dann riesige Campingresorts, quadratkilometergroß, mit hunderten kleinen Häuschen zwischen Pinien. Relativ angepasst. Wirkt ganz gemütlich. Marinas mit vielen Booten, auch eher bescheiden, nichts Großkotziges. Und nirgendwo nichts los. Wenn ich mir allerdings vorstelle, dass die meisten mit Auto oder Wohnmobil anreisen, wird mir ganz anders. Ich finde: Wahnsinn! Vor dem Hintergrund des Klimawandels. Wo – ähnlich wie bei Corona – jeder Tag zählt. Und genauso fällt es hier schwer, die Tragweite wahrzunehmen. Ist ja auch nicht leicht zu verdauen. Mir gelingt das auch nur, da ich ja mega nachhaltig unterwegs bin, quasi auf der Seite der „Guten“. Meine Überzeugung ist zudem, dass in jeder Katastophe eine Chance zu Wachsen liegt. Und Fehler sind da, um daraus zu lernen.

Nach leckeren Cevapcici in einem etwas veranzten Ristorante muss ich einen Berg hoch auf ruppigem Schotter, steile Schiebepassagen inklusive. Oben habe ich Aussicht auf den Vrh-Lima-Fjord. Auf Asphalt runter und wieder hoch. Ich lande auf einer Bahntrasse und finde am Rand einer Lichtung ein ruhiges Zeltplätzchen.

Am nächsten Morgen komme ich früh los. Die Sonne schafft es auch schon bald. Über den Bahntrassenradweg erreiche ich schnell Rovinj. Wow, das Städtchen gefällt mir wunderbar. Die Altstadt mit Kirchturm glänzt in der Morgensonne, auf einer Halbinsel umgeben vom Mittelmeer.

Über Schotterwege durch Steineichenwald komme ich nach Pula, quirlig und modern, sprich viel Verkehr, aber auch nette Gassen. Plötzlich taucht ein riesiges, antikes Amphitheater vor mir auf. Auch ein griechischer Tempel steht rum, darüber eine Burg. Ich esse Cevapcici zu Mittag, danach ein Eis in der Sonne.

Der Eurovelo 8, dem ich folge, wendet sich an der Ostküste wieder nach Norden. Ich hab mir eine abgelegene Bucht als Schlafplatz ausgeguckt. Die sehr breite Schotterpiste, die zu ihr führt, dämpft meine Erwartungen gehörig. Und so ist es: am einen Ufer militärische Sperrzone, dürftig mit einem dürren Bändsel abgesperrt. Auf der anderen Seite Aquakultur. Dazwischen Angler. Ich finde zwar zwei denkbare Plätze. Der eine ist vermüllt, der andere am Rand eines Ackers und auch nicht so schön. Ein Stück weiter am Ende der Bucht zweigt ein Weg in das Tal. Dort find ich eine schöne, offene Wiese, ab von den befahrenen Wegen.

Juhu, ich bin seit einem Monat unterwegs. Wenn ich sieben Jahre plus Puffer anpeilen, sind das rund hundert Monate und ich habe davon schon ein Prozent. Soviel zu meinem kleinen Zahlenzwang. Einen Energieriegel - von ursprünglich etwa zwanzig - habe ich von zuhause bis hierher transportiert. Und eine Tafel - von zweien - meiner Lieblingsschokolade. Vielleicht für einen emotionalen Notfall

Vor dem Zelt ist es arschkalt. Minus fünf Grad um fünf Uhr. Alles dick mit Reif überzogen. Gut, dass ich früh loskomme, denn bis zur Fähre nach Cres sind es siebzig Kilometer. Einige Hügel. Dann noch ein Stück auf Cres. Ich sammle einige Höhenmeter. Ich passieren eine langgestreckte Bucht. Darin ein Hafen. Es werden Steine aus einem nahen Steinbruch, dicke Holzplanken und Schafe, die in Transportern angeliefert werden, verladen. 

Zur Fähre muss ich noch um einen Bergrücken rüber. Gediegene Aussicht auf Bucht, Meer und Inseln. Die Fähre fährt passend ab. Auf Cres sind es aber noch 25 Kilometer und ich muss noch 500 Höhenmeter rauf. Dabei hab ich doch schon tausend.

Es ist halb drei, als ich diesen letzten Abschnitt in Angriff nehme. Gut ausgebauten Straße, mäßige Steigung, Verkehr nahe Null. Die Sonne steht schon relativ tief. Wunderbares Licht, grandiose Aussicht. Ich bin ergriffen von diesem schönen Geschenk. Die Sonne versinkt hinter Istrien.

 

Ich passiere den Gipfel des Höhenrückens. Auch auf der anderen Seite tolle Aussicht: Inseln, Festland, Meer, darüber der Mond.

Für einen Ruhetag ist Cres perfekt. Entspannt und hübsch anzuschauende Gassen, Gebäude und der geschützte Hafen, in dem einzelne Boote kleine Kisten mit frischem Fisch anlanden. Cafés und Restaurants, kleine und auch große Lebensmittelgeschäfte gibt es auch.

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