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#032 - Türkei (Teil 11, von Çukurca nach Arpaçay)

Noch etwas geschwächt radle ich weiter durch die abenteuerliche Bergwelt von Kurdistan. Phantastische Menschen begegnen mir. In Van treffe ich Christine und Hendrik wieder. Zusammen radeln wir weiter zum Ararat, nach Ani und in Richtung georgische Grenze.

20. Juni 2025: Von Çukurca nach Üzümcü20. Juni 2025: Von Çukurca nach Üzümcü

Mist, meine Fahrradtaschen, die ich wie meist am Fahrrad lasse, wurden schon wieder durchgewühlt. Das war am ersten Tag hier in Çukurca auch schon passiert. Nichts hatte gefehlt. Ich hatte die Jandarma, die mein Rad hertransportiert hatte, im Verdacht.

Jetzt fehlt eine kleine Tasche mit Elektronikzubehör, eine SSD, Speicherkarten, Kabel. Auch eine Bluetooth-Box, selten genutzt. Wert zusammen vielleicht 300 Euro. Damit kann hier doch keiner was anfangen. Auch kaum verscherbeln, außerder Bluetooth-Box. Meine Gopro und eine wertvolle Kompaktkamera sind noch da. Meinen Computer hatte ich zum Glück im Zimmer.

Nach viel Hin und Her gehe ich zur Polizei. Keine Ahnung, ob das was bringt. Meine Sachen hätte ich schon gerne zurück und ich weiß, es ist nicht hoffnungslos. Dank der vielen Überwachungskameras. Der arme Kerl, falls sie ihn erwischen, tut mir aber auch leid. Die sozialen Gegensätze und Perspektivlosigkeit sind hier in der Gegend mit Sicherheit enorm. Die Sache unter Lehrgeld abzuspeichern, wäre für mich auch okay.

Jetzt verzögert sich meine Weiterfahrt. Schade, ich fühle mich zwar noch etwas schwach, aber ich hatte Lust, weiterzufahren. Und starke Träume, yeah!

Fünf Stunden verbringe ich bei der Polizei. Alle sind sehr hilfsbereit. Klar, ich bekomme Çay und später wird mir ein Toast bestellt. Ich zähle nicht, wie oft ich die Geschichte erzähle. Zwischendurch warten, bis der nächsthöhere Rang verfügbar ist. Irgendwann einer mit nem Stern auf der Schulter. Am Schluss einer mit dreien. Adem redet gern und viel, kann englisch, weil er viel in UN-Projekten unterwegs war. Der Strukturierteste ist er nicht. Auch die Skizze von meinem Rad, die er anfertigt, lässt mich etwas an Slapstick erinnern. Das verbessert meine Laune, ebenso wie seine Aussage, dass Diebstähle hier in der Gegend eigentlich nicht vorkommen und nur drei oder vier dafür in Frage kämen.

So setze ich mich um zwei aufs und rolle zwischen mächtigen Bergen steil runter ins Tal. Dabei fällt mir ein, dass ich die Rahmentaschen gar nicht überprüft habe. Und siehe da, es fehlt einiges: Werkzeug, Ersatzteile, ein Leatherman, Stirnlampe, mein Opinel. Super ärgerlich! Vor allem das Werkzeug!

Wut steigt in mir auf. Das kommt bei mir selten vor und ist bemerkenswert. Eigene Schuldgefühle wie sonst gerne? Keine Spur. Mir dämmert, dass Schuldgefühle die gefährliche Wut gedeckelt haben. Scheint sich gerade zu verändern. Zudem stelle ich fest, dass ich trotz dieser beschissenen Situation die wunderbare Landschaft genieße. Und nicht im Ärger versinke.

Sehr weit komme ich nicht und im Tal auf unter tausend Metern ist es heiß. Eine nette Familie, sehr einfache Verhältnisse, lädt mich ein zu Çay und essen. Wie viel und gerne die Menschen lachen! Auch über meine Schauspielerei, um etwas nonverbal zu erklären.

Gegen Abend brauche ich Wasser und steuere einen Brunnen neben einem Häuschen an, hübsch gelegen über dem Fluss. Von der Terrasse hinter dem Haus kommt großes Hallo. Hier heißt das Winken und Çay-Çay-Rufe.

Yunus und seine Kumpel, alle Kurden, schieben hier Wache. App-Kommunikation klappt prima. Er kommt aus dem Irak. Seine Familie ist vor Saddam Hussein geflüchtet. Er zieht mit mir los und zeigt mir sein Dorf: ein vierhundert Jahre alter Baum, ein alter, großer Mühlstein, ein uraltes Gebäude, Schrein eines Scheichs und ihr Betraum. Überall passieren wir Männertreffs. Schon ne spezielle Energie.

Zurück am Wachposten gibt es was zu futtern. Die Stimmung ist ausgelassen. Yunus bittet mich zum Tanz. Dazu werden die kleinen Finger eingehakt. Yunus singt und tanzt. Ich soll mitsingen und mittanzen. Wo es hapert, versuche ich das mit Lautstärke auszugleichen. Ich habe meinen Spaß, die anderen sind begeistert. Nach zwei - oder sind es schon drei - Jahren rauche ich mal wieder eine Zigarette.

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