top of page

#044 - Georgien (Teil 9, Von der armenischen Grenze nach Abastumani)

11. Oktober 2025: Ruhetag in Borjomi

Mein Körper ruft nach sechs Tagen Aktivitäten dringend nach einem Ruhetag. Ich zögere noch, denn ich hatte schon einen anderen Plan: zwei Ruhetage in Abastumani. Die übernächste Etappe geht über den Zekari-Pass. In drei Tagen soll es starke Niederschläge geben. Dass beides aufeinander fällt, will ich vermeiden. Ein Ruhetag muss aber mindestens vorher sein. Also nach Adam Riese zwei.

Ich frage in meinem Guesthouse nach einer weiteren Nacht. "Nein, alles voll." Ich bin enttäuscht, denn ich habe ein schönes Zimmer mit Balkon, Sonne und Aussicht auf Borjomi. Die Art, wie die Gastgeberin mir absagt, stößt mir etwas auf. Ich meine, ein etwas sadistisch-schadenfrohes Grinsen zu sehen. Entschuldigendes kann ich nicht wahrnehmen.

Dafür habe ich eine Ader. Schadenfreude kenne ich von mir selbst auch gut. Ich glaube, darüber schon mal geschrieben zu haben. Hängt mit dem Gefühl zusammen, wenn mir mal etwas widerfährt, selbst Schuld daran zu tragen. Also ist es doch gerecht, wenn auch anderen mal was widerfährt, oder? Das ist dann lösend und erleichtern für mich und bereitet mir sogar Freude.

Ganz anders gestern im Café Iggy. Ein Kindersitz mit einer Einjährigen kippte um. Ein Bein war eingeknickt, aus heiterem Himmel. Die Kleine knallte völlig ungeschützt mit dem Kopf aus einem Meter Höhe auf den Fliesenboden. Sie weinte. Die Eltern reagierten sofort, erstaunlich unaufgeregt, mit viel körperlicher Nähe. Mama nahm sie auf den Arm, gab ihr die Brust. Später aß die Kleine etwas, guckte in die Runde. Papa übte gehen mit ihr. Dann schlief sie in seinen Armen ein.

Hier war ich weit entfernt von Schadenfreude. Ich war ganz im Mitgefühl mit der Kleinen, besorgt, traurig. Ich bewunderte auch die Eltern. Keine große Aufregung, kein Ruf nach einem Arzt, keine Suche nach Schuld, kein zusätzlicher Stress. Sondern sie gaben ihrer Tochter Nähe und Vertrauen. Rührte mich.

Bleibt die Frage nach Gehirnerschütterung. Ich google das. Die Kleine scheint keine der Symptome gezeigt zu haben. Ich erinnere mich an meine Abschiedstour zu meinem Bruder nach Berlin vor gut einem Jahr. Als ich am zweiten Tag einen Zeltplatz ansteuerte, stürzte ich mit meinem Rennrad. Keinerlei Erinnerung daran, was genau geschah. Ich fand mich auf dem Asphalt wieder. Helm kaputt. Schaltungen gebrochen. Kleidung am rechten Unterarm aufgerissen. Keine Verletzungen. Weit und breit keine anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Keine Erkennbare Ursache für den Sturz.

Machte mich schon nachdenklich. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, auf meiner großen Reise immer vorsichtig und achtsam zu sein und immer brav meinen Helm zu tragen. Und: Unvorhersehbares mit möglicherweise drastischen Folgen lässt sich nicht ausschließen. Das hielt mich jedoch nicht im Geringsten davon ab, mich auf den Weg - jetzt vorübergehend Rückweg - zu machen.

Zurück zum aktuellen Geschehen. Ich wechsle die Unterkunft innerhalb Borjomis. Bis Batumi sind es noch gut dreihundert Kilometer. Ein hoher Pass dabei. Fünf Fahrtage sollten reichen. Am 20. abends geht meine Fähre nach Bulgarien. Bleiben fünf Pausentage. Alles locker!(?) Ach, etwas Muskelkater im Oberschenkel vom steilen Abstieg gestern.

bottom of page