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#012 - Albanien

Ab Peshkopi liegt immer weniger Schnee und es wird wärmer. Ich mache einen Abstecher zum Ohridsee in Nordmazedonien. Von dort geht es mal wieder an die Küste, zum Nationalpark Divjaka-Karavasta, in dem ich fast absaufe. Über die größere Stadt Vlorë fahre ich ins Vjosatal, das mich bis Griechenland führt.

22. Januar 2025: Von Vlorë nach Qesarat

Der Verkehr in Vlorë ist faszinierend. Unglaublich entspannt. Egal, ob jemand an der unmöglichsten Stelle in aller Ruhe wendet, alle bleiben geduldig. So viel Rücksicht, ich möchte es fast Empathie nennen. Keine Sau beharrt auf seinem Recht. Es geht schon eng zu, aber Vorfahrt ist relativ. Das hat zwei Seiten. Es wird defensiv häufig Vorfahrt gewährt, auch Fußgänger*innen oder mir als Radfahrer. Ich muss aber auch damit rechnen, dass plötzlich jemand vor mir auftaucht oder mich schneidet. Kein Problem, einfach relaxed bleiben. Die in Deutschland verbreitete Rechthaberei kommt mir noch bescheuerter vor. Hier finde ich das Verhalten viel herzlicher und etwas berührend. Auf der Landstraße ist es anders: wo Platz ist, wird Gas gegeben.

Mein Eindruck ist auch, dass Albanien, genauso wie der Rest des Balkans, ein sehr Auto-fixiertes Land ist. Es gibt viele dicke Schlitten, SUV und Sportwagen. Sie scheinen mir eng mit dem männlichen Rollenverständnis verbunden. Dazu gehört auch eine typische Kurzhaarfrisur. In den Cafés sitzen ausschließlich Männer. Im Straßenbild sind sie deutlich präsenter. Das Rollenverständnis erscheint sehr traditionell. Oder ich habe die Orte noch nicht entdeckt, wo es lockerer und diverser zugeht.

Meine heutige Route führt mich über zweifelhafte Abkürzungen landeinwärts. Einmal muss ich das Rad über einen Graben hieven. Dann lande ich auf einer Piste, die mal wieder teilweise unter Wasser steht. Ich habe gerade mal zehn Kilometer zurückgelegt. Da klemmt schon wieder die hintere Bremse. Ich halte an einer Tankstelle. Der Belag ist noch okay. Die Stempel bewegen sich aber nicht mehr gut. Ich opfere meine Zahnbürste und putze die Bremse mal. Danach noch ein Kaffee in der Tanke. Werde mal wieder eingeladen. Es ist jetzt halb zwölf. Erstaunlich, wie leicht ich ungeduldig werde und denke, ich muss jetzt weiter. Hm...?

Nach zwei kleineren Bergen, vorbei an uralten, verrosteten Ölförderpumpen, zum Teil noch in Betrieb, in Schwefelwasserstoffduft gehüllt, erreiche ich das Vjosatal. Eine breite Straße, übel in die Landschaft trassiert, führt in die Berge. Der Verkehr ist akzeptabel und es gibt einen breiten Seitenstreifen. Ein fieser Husten nistet sich in meinem Hals ein.

Gegen späten Nachmittag biege ich auf die alte Straße ab, die außen um einen Berg rumführt, und finde einen idealen Zeltplatz auf einer Terrasse oberhalb des Flusses. Kein Lärm, nur sanftes Rauschen des Flusses und gelegentliches Hundegebell in der Ferne.

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