Kirgisistan 2021
Freitag, 11. Juni 2021
Vorgeschichte
Gestern war es soweit: nach einem herzlichen Abschied von meinen Kollegen und Kolleginnen begann mein Sabbatical. Großartig – ich habe ein halbes Jahr ganz für mich und kann es ganz frei gestalten. Körperlich geht es mir allerdings nicht ganz so gut. Wie meistens vor aufregenden Abenteuern habe ich das Gefühl, krank zu werden. Ein leicht fiebriges Körpergefühl und auch Kopfschmerzen. Bei schönstem Sonnenschein gehe ich zu Fuß, mein Rad schiebend, von meiner Arbeitsstelle in der Bremer Überseestadt an der Weser entlang nach Hause ins Viertel.
Mir wird klar, welch wichtige Aufgaben meine Arbeit für mich hat, die in den nächsten Monaten wegfallen werden: sie gibt meinem Leben Struktur und Halt, hat damit auch soziale Funktionen. Die Atmosphäre ist kollegial und angenehm. Das fällt jetzt erst mal weg und die „große Freiheit“ will gefüllt werden. Eine Aufgabe, die mir auch etwas Angst macht. Als mir das klar wird, schwinden die Kopfschmerzen langsam.
Im Prinzip bin ich ja ein großer Freund der „Leere“ und hab schon öfter erlebt, wie sie mir zu neuen Erkenntnissen und Lebensfreude verholfen hat. Leichter gesagt als getan, denn die Leere ist kein angenehmes Gefühl, sondern ein bedrohliches. Aufgabe ist es, lieb gewonnene, Sicherheit bietende Strukturen und Muster loszulassen. Das macht Angst, bietet aber auch die Chance zu lernen und völlig neue Türen zu öffnen.
Ein paar andere Stressfaktoren begleiten mich auch noch durch den Tag. Nach mehreren Telefonaten mit technischen und auch kommunikativen Hürden bekomme ich Abends meine zweite Corona-Impfung und bin sehr glücklich darüber. Auch Freund*innen hatten mir eine Möglichkeit geboten, mich Impfen zu lassen, die ich jetzt gar nicht beanspruchen muss. Trotzdem ein dickes Dankeschön. Sehr freut mich, dass ich ein Zertifikat auch in englischer Sprache bekommen habe, das mir das Reisen erleichtern könnte.
Außerdem gab es noch einen Stromausfall in der Straße. Seit Donnerstag immer mal wieder und auch nur in Teilen des Hauses. Ich fürchtete seltsame Kurzschlüsse im Leitungssystem meines Hauses. Die Nachbar*innen hatten jedoch dasselbe Problem – große Erleichterung. Zu allem Überfluss versagte auch noch die Internetverbindung meines Rechners. „Nicht identifiziertes Netzwerk“. Eine Stunde Recherche und erfolgloses Rumprobieren, dann hatte ich den richtigen Tipp gefunden: einfach das LAN-Kabel am Router in die LAN2-Buchse stecken. Keine Ahnung warum, aber Hauptsache, die Kiste läuft wieder und ich kann vor meiner Reise noch diese Internetseite vorbereiten.
Seit einigen Tage ist auch meine Phantasie eifrig am arbeiten, was alles schief gehen könnte. Irgendwas klappt mit dem PCR-Test nicht. In Kirgisistan gehen die Coronazahlen nach oben und das Land macht dicht. Mein vom türkischen Reisebüro am Ziegenmarkt vermittelter Transfer nach Hamburg lässt mich im Stich. Mit dem Flug klappt was nicht. Ich bleib in Istanbul hängen oder darf nicht nach Kirgisistan einreisen. Mein großer Radkarton, es sind nur die Pedale und Lenker abgeschraubt, passt nicht ins Flugzeug. Und so weiter …
Ich erinnere mich an meine Abreise nach Iran vor etwas zwei Jahren. Da ging es mir ähnlich. Außerdem gab es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes auch für die Region Shiraz wegen schwerer Unwetter. Ich hatte das Gefühl, ich reise in ein Katastrophengebiet. Dann verlief alles so easy, dass ich fast etwas enttäuscht war und etwas erstaunt über meine Paranoia. Aber eigentlich finde ich es gut, offensiv mit meinen Ängsten umzugehen und ihnen den Raum zu geben, den sie haben wollen. Ich sehe darin auch Gelassenheit und Mut und letztlich meinen großen Wunsch, das Fremde, Dunkle, Unbekannte in der äußeren Welt und in meinem Innern zu erkunden.