Von Hull durch Yorkshire Dales und den Lake District, 10. bis 16. Mai 2024
Donnerstag, 9. Mai 2024
Bahnfahrt von Bremen nach Rotterdam und auf die Fähre Kingston upon Hull
Mittags steige ich in Bremen in den Zug nach Rotterdam, wo mich die Fähre nach Kingston on Hull in Nordengland erwartet. Ich bin ganz schön im Stress- und Bedenkenmodus, letzterer beachtlich kreativ. Vorfreude und Abenteuerlust verstecken sich noch tief in mir. Ich erahne und erhoffe sie mehr, als dass ich sie wahrnehme. Diese Reise steht im Lichte und damit auch im Schatten meiner Weltreise, Abfahrt geplant im November diesen Jahres. Wenn Schottland jetzt nicht läuft, auweia, was dann? … setze ich mich gekonnt unter Druck. Dass ich mich ja etwas kenne in der Hinsicht, lindert etwas mein Dilemma. Also bleibt mir wie immer, anzunehmen was ist, auch wenn es sich blöd, peinlich oder jämmerlich anfühlt.
Die Bahnfahrt, zwei Mal umsteigen in Osnabrück und Ameersfort, klappt bestens, sogar das knappe Umsteigen, vier Minuten, in Ameersfort. Einen Bus von Hauptbahnhof Rotterdam Centraal zum Fährhafen Engeland gibt es heute nicht, erfahre ich an der Touristeninfo am Bahnhof. Weil Feiertag, ich mich icht angemeldet habe und Fahrräder würde er sowieso nicht mitnehmen. Kein Problem, ich hab mir schon ne Route bei Komoot gebastelt. Zeit für die 30 Kilometer habe ich noch über vier Stunden bis zur Abfahrt der Fähre.
Die Bahnhofsvorstadt mir modernen, schicken Hochhäusern gefällt mir gut. Die Atmosphäre ist entspannt. Auf schicken Radwegen rolle ich an hübschen Grachten und netten Cafés vorbei und verkneife mir einzukehren. Ein Teil der Route führt auch an dicken Straßen entlang. Auf halber Strecke bringt ich eine Fähre ans andere Ufer, ich nehme an, der Maas. Dann geht es nur noch durch Gewerbe- und Industriegebiet. Allerdings tote Hose, denn heute ist ja Feiertag.
Um 19 Uhr, zwei Stunden vor Abfahrt, bin ich am Fährterminal. Komisch, so gar nichts los hier?! Ah doch da stehen fünf Autos und Checken ein. Wir dann ja wohl nicht so voll auf der Fähre. Nach der Passkontrolle geht es 11 Prozent steil rauf auf Deck 7 der Fähre. Ich binde mein Rad an und schleppe mein Gepäck in meine Kabine auf Deck 9. Doch schon ein paar Leute in den Restaurants und Kneipen und was hier so alles geboten ist. Das Sonnendeck ist leider gesperrt – frische Farbe! – haha. Also gibt es keine frische Luft und die Touri-Shopping-Atmosphäre macht mich nicht so an. Ich schaue aus einem Fenster in die Abendsonne und stelle fest, das Schiff fährt schon! Wie spät ist es denn? 20 Uhr erst! Was läuft hier verkehrt? Ich gucke nochmal in meine letzten Emails von Laura von P&O Ferries. Da steht 21 Uhr. Ich schreibe ihr ne Email und frag mal nach. Irgendwie komplett unlogisch. In England, dem Sitz der Fährgesellschaft, ist es wegen Zeitverschiebung erst 19 Uhr, also andere Richtung. Tsts, na egal, ist ja nochmal gut gegangen. Die meisten anderen haben es wohl besser gewusst, sonst wäre beim Einchecken mehr los gewesen.
Meine Kajüte gefällt mir gut. Alles relativ neu und gute Qualität. Ich habe ein eigenes Bad und ein kleines Fenster.
Freitag, 10. Mai 2024
Vom Fährhafen Kingston upon Hull nach Skelton bei York (100 km)
Früh werde ich wach und habe noch viel Zeit, denn ich darf meine Uhr eine Stunde zurückstellen. Die Handvoll Radfahrer*innen darf zuerst von Bord und ich folge den Wegweisern Richtung Hull City Center. Ich rolle durch nette Wohnviertel mit den hübschen, typisch englischen Steinhäusern. Auch das Stadtzentrum ist schön und es gibt ein paar beeindruckende alte Gebäude mit vielen kleinen Türmchen. In der westlichen Vorstadt gibt es auch ärmere Viertel mit sehr einfachen Häuschen in nicht so tollem Zustand.
Ich komme zur „Golden-Gate“-Bridge über den Humber-Ästuar. Mein erster Wow-Moment und ich merke, ich komme langsam an, öffne mich mehr und mehr für meine Umwelt und genieße meine Tour. Wie schön. Am Ufer des Humber mache ich eine zweite Frühstückspause. Ich folge dem Trans Pennine Trail, National Cycle Network Route 65, immer mal wieder kurzzeitig entlang dicker Straßen, dann aber auf Radwegen, ansonsten kleine Wege und Straßen und immer wieder kleine Dörfer mit sehr ansehnlichen, gepflegten Häusern und Gärten. Hat fast etwas Museumshaftes.
An einer alten Schleusenanlage treffe ich zwei freundliche, gut gelaunte Männer, die ein paar Tage mit ihren E-Bikes unterwegs sind. In Howden gönne ich mir ein leckeres Eis und einen Cappuccino und decke mich bei einem Bäcker mit salzigem Gebäck ein. Entlang dem Flüsschen Ouse erreiche ich York. Jake hält mich an und stellt neugierige Fragen. Eine nette Begegnung. Ich gebe ihm die Adresse meiner Internetseite.
York ist leider zu schön, viele Touris und Autos auf den Straßen, so dass ich mich bald weiterzieht. Gut 100 km reichen mir für heute und ich entscheide mich, auf einem Campingplatz zu bleiben.
Samstag, 11. Mai 2024
Von Skelton bis Appletreewick (85 km, 1.000 Höhenmeter)
Ich folge weiter dem Trans Pennine Trail. Zunehmend wird es hügeliger. Nach Zwischenstopps in Howden – Eis und Cappuccino – und Ripon – ich kaufe eine Gaspatrone für meinen Kocher – zeigen mir die englischen Straßenbauer, was sie so drauf haben: es wird immer steiler. Zwar immer nur kurze Stiche, aber die haben es in sich. Haarnadelkurve oder Trassierung sind Fremdwörter hier. Vorteile? Die Verbindungen sind kürzer und das spart Material – da haben die Engländer wohl den Schotten und Schwaben etwas voraus.
Ich komme zu einer königlichen Parkanlage. Vom Eingangstor führt eine schnurgerade Straße etwa zwei Kilometer bis zu einer vikorianischen Kirche oben auf dem Berg. Auf den Wiesen zwischen großen Bäumen grasen Hirsche. Danach wird das Auf und Ab immer schlimmer. Ich bin froh, als ich die Passhöhe erreicht habe und falle bei bis zu 19 % Gefälle laut Beschilderung ins nächste Tal. Bei einer Pause in Pateley Bridge schaue ich auf die Karte und sehe, das dicke Ende kommt erst noch. Auf drei Kilometern geht es rund 300 Höhenmeter rauf. Maximale Steigung laut Komoot: 24 %. Das ganze auch noch auf einer schmalen Straße mit nicht ganz wenig Verkehr.
Ich ergebe mich in mein Schicksal und tatsächlich erklimme ich das Monster bei nur einer kleinen Verschnaufpause in einer guten halben Stunde. Oben ist die Landschaft weit und offen und wirkt etwas alpin-skandinavisch. Es wartet eine lange Abfahrt auf mich. Da fängt plötzlich mein Bauch an zu zwicken und kurz darauf fangen Magen und Darm an, sich von ihrem Inhalt befreien zu wollen. Völlig hinüber liege ich am Straßenrand. Nach einer Viertelstunde geht es wieder und ich rolle in ein idyllisches Tal. Restaurants am Straßenrand sind gut gefüllt. In Appletreewick gibt es einen Campingplatz am Fluss, bevölkert mit Jugendgruppen und Familien. Ich werde freundlich enpfangen und bekomme ein abgelegenes ruhiges Plätzchen.
Sonntag, 12. Mai 2024
Von Appletreewick bis Ingleton durch den Yorkshire Dales National Park ( 50 km, 1.000 Höhenmeter)
Ich frühstücke auf der kleinen Terrasse neben der Rezeption und beobachte der Teenies auf ihrem Weg zum Waschhaus. Sie ignorieren mich komplett. Ich fühle mich noch etwas geschwächt von meinen gestrigen Verdauungsproblemen und will es heute entspannt angehen lassen. Auf dem schmalen Sträßchen, „Single Track with Passage Places“, rolle ich durchs Tal. Schon bald biege ich auf ein noch kleineres Sträßchen ab und es geht bergauf, mal flacher und mal mega steil. Ein Stückchen schiebe ich, aber auch das ist super anstrengend und das Rad wiegt Tonnen.
Die Landschaft ist sehr schön, saftiges Grün mit vereinzelten Schafen, unterteil durch hellgraue Steinmauern, dazwischen alte Steinmauern. Erinnert mich fast ein bisschen an die Schweiz, so eine idyllische, harmonisch angelegte Naturlandschaft. Allerdings fehlen die hohen Berge und der Straßenverlauf ist zwischen den vielen Steinmauern oft nur schwer erkennbar. Dass er auch mal gleichmäßig ansteigen könnte, wo sonst überall auf der Welt, die Hoffnung habe ich mittlerweile jedoch begraben.
Es geht immer höher rauf auf rund 400 m. Die Landschaft ist jetzt karg und weit. Es gibt weniger Steinmauern. Auf einer großen Weide grasen ein paar Galloways. In Settle, einem kleinen Städtchen ist Kunshandwerker*innenmarkt und viel los. Cafés alle besetzt. Viele Motorradfahrer, die einen Höllenlärm verbreiten, meist alte Säcke wie ich.
Der nächste Berg ist zur Abwechslung mal nur gemäßigt ansteigend. Es sind viele Wanderer*innen unterwegs, zwischen den Steinmauern sind auch Wanderwege. Ich verlasse den Yorhshiredale-Nationalpark. Bei einem Zwischenstopp treffe ich drei Engländer aus Lancaster mit ihren Bikepackingrädern. Sie legen mir wämstens die schottischen Inseln ans Herz. Hört sich gut an und lockt mich, was sie so erzählen.
In Ingleton reicht es mir für heute. Drei Uhr, 50 km und immerhin 1.000 Höhenmeter. Es gibt einen Campingplatz.
Montag, 13. Mai 2024
Von Ingleton bis Broughton-in-Furness (100 km, 1.600 Höhenmeter)
Es hat tierisch geschüttet und gewittert letzte Nacht. Um halb sechs weckt mich das laute Vogelgezwitscher. Die morgendliche Brise hat mein Zelt fast trocken geblasen und schiebt ich jetzt weiter nach Westen. Die engen Sträßchen faszinieren mich immer wieder. Ein LKW kommt mir entgegen, mühsam setzt er zurück bis zu einer Ausweichstelle, um mir Platz zu machen. Ich hole einen Trecker ein. Der Fahrer sieht mich und gibt Gas. Ich kann ihm nicht mehr folgen. Auch okay. Dann setzt er aber in den Lücke und lässt mich freundlich grüßend vorbei.
Es gibt auch ödere Abschnitte. Eine ganze Weile lang begleitet mich der Lärm einer Autobahn. Und zwischendurch ist die Landschaft auch mal von intensiverer Landwirtschaft geprägt. Ich erreiche die Westküste und einen mondänen Küstenort mit viel Verkehr, vielen Menschen auf der Straße und vielen Geschäften und teuren Hotels. Bin ich in Nizza, Promenade des Anglais?
Schnell wieder in die Berge und den Schneckengang eingelegt. Es fängt an zu tröpfeln. Weit und breit kein mich ansprechndes Hotel oder ein Campingplatz. Also genieße ich noch zwei Stunden das britische Wetter. Ich komme über eine Hochebene, alles voller Adlerfarn mit ein paar Schafen dazwischen. Sehr einsam und still. Auch wegen der gelbgrünen Farbe erinnert mich die Gegend etwas an die Drakensberge in Südafrika. In Broughton ist Ende für heute. Es gibt nur ein Hotel, The Kings Head. Etwas heruntergekommen, alles andere als stilsicher renoviert, nicht sehr freundlich angesichts des durchnässten Gastes und dafür recht teuer: 124 GBP. Da muss ich mich erstmal dran gewöhnen.
Mittwoch, 15. Mai 2024
Von Broughton-in-Furness nach Lorton (65 km, 1.400 hm)
Gestern regnete es so ziemlich durch und ich beschloss, noch ne Nacht in dem Hotel zu bleiben. Dass mein Hals kratzte und ich mich etwas kränklich fühlte, erleichterte mir die Entscheidung. Mit Lesen, Waschen und Abhängen ging die Zeit auch rum. Heute jedoch will ich weiter. Die Straßen trocken sind und auch die Sonne lässt sich blicken. Beim Bäcker und dem Tante-Emma-Laden decke ich mich mit Proviant ein. Es geht in ein sehr bezauberndes, steil eingeschnittenes Tal, klar, ordentlich steil rauf und runter. Verkehr quasi nicht vorhanden.
Im nächsten Tal geht es plötzlich rechts ab. 25 Prozent Steigung wird angezeigt und so sieht es auch aus. Ich schenke mir den Versuch hochzufahren und wuchte mein Rad schiebend die Rampe hoch. Die Erbauer haben sich doch tatsächlich zu drei kleinen Haarnadelkurven hinreissen lassen, so steil ist es. So steil, so kurz und schon bin ich oben und komme in schönes, weites Hochland. Es tröpfelt etwas. Ein weiteres schönes Tal folgt, dann ein Abschnitt auf vielbefahrener Hauptstraße, ätzend, aber auch irgendwann vorbei.
Es sind viele Radfahrer*innen unterwegs, meist auf Renn- oder Gravelrädern, eher ältere Semester, so wie ich oder auch noch drüber. Der ein oder andere hält beim Überholen ein kurzen Plausch mit mir. Hie und da taucht ein kleiner Parkplatz auf – die Leute gehen wandern. Es gibt viele Schilder „Public Path“. Offensichtlich gibt es so viel Privatland und auch –wege, dass das erforderlich ist und auch einfacher, da die meisten privat sind.
Endlich komme ich auch mal an einen See, nachdem ich sie bislang nur aus der Ferne sah. Der Loweswater-See liegt wunderbar zwischen hohen Bergen, am Ufer zwei, drei kleine Anwesen – nicht übel.
Kurz vor Cockermouth biege ich auf einen Campingplatz ab. Nichts los hier. Bei der angegebenen Telefonnummer meldet sich niemand. Zwei Wohnzelte stehen auf dem großen Platz. Nina und Andy helfen mir mit einer anderen Telefonnummer weiter und drei Minuten später steht Andrew auf dem Platz. Da ich es nicht passend habe und er kein Wechselgeld hat, ist er mit 10 Pfund zufrieden. Nina und Andy verbringen hier eien Woche und wandern. Sie laden mich auf ein Bier ein und wir verbringen einen unterhaltsamen Abend.
Donnerstag, 16. Mai 2024
Von Lorton nach Annan, Scotland (100 km, 1.000 hm)
Am Morgen nervt mich mein Multifuel-Kocher, ein Polaris von Optimus. Der Name ist nicht Programm. Ich bekomme ihn einfach nicht an. Brennstoff: Gas. Patrone hatte ich in Ripon, am zweiten Tag meiner Tour gekauft. Auch mit Benzin betrieben hat mich das Teil schon oft mega gestresst. Jetzt bin ich voll sauer. Nichts Warmes zum Frühstück. Und wie weiter?
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Heute muss ich nur über ein größeren Berg, dann geht es „flach“, haha, bis nach Carlisle. Mein Navi führt mich auf eine ziemlich matschige Nebenstrecke. Zum ersten Mal wird das Radeln etwas „technischer“. Ständig ein Gatter, lassen sich aber alle öffnen. Nach Carlisle geht es entlang eines kleinen Flüsschens fast bis ins Stadtzentrum. Abgesehen von der Stadtautobahn herrscht eine entspannte Atmosphäre. Ich kaufe mir einen neuen Kocher, ein Superminiteil von MSR und gönne mir Fish and Chips, dazu ne Cola. Trink ich so gut wie nie, das süße Zeug. Der Fisch war lecker und ich bin pappsatt.
Raus aus Carlisle ist nicht ganz so prickelnd zu radeln. Entlang einer Autobahn geht es über den Grenzfluss und ich bin mir nichts, dir nichts in Schottland. Im zweiten Ort, Annan, gibt es einen Campingplatz, eigentlich eine Anlage mit vielen Angelteichen. Auch hier nicht viel los und die freundliche Platzwartin lässt mich einen schönen Zeltplatz mit Seeblick aussuchen.