Für heute wünsche ich mir, dass ich die lange, gleichförmige Strecke, weitgehend flach und geradeaus durch ein breites, trockenes Tal möglichst gut überstehe. Besondere Erwartungen an landschaftliche Schönheiten habe ich nicht. Gestern war ich doch etwas enttäuscht von der Strecke im Draatal, von der ich mehrfach Gutes gehört hatte. Mich hatten die teilweise vertrockneten Palmenhaine und die Ortschaften nur punktuell inspiriert.
Ich decke mich mit fünf Litern Wasser ein und rolle auf der schnurgeraden Straße los, zunächst noch an bewässerten Feldern und am leerstehenden Flughafen. Dann wird es immer wüstenartiger. Es wachsen grün-gelbliches Gestrüpp und sehr vereinzelten Schirmakazien. Sie stehen im schönen Kontrast mit dem rot-grün-gelblichen Untergrund. Links und rechts in der Ferne bilden Bergketten den Rahmen. Darüber der blaue, wolkenlose Himmel. Mir gefällt es gut und meine Stimmung steigt. Genauso wie die Temperaturen, laut Wetter-App 32 Grad. Es weht ein laues Lüftchen, das nur kurzzeitig mal fies von vorne bläst. Viel trinken und es lässt sich aushalten.
Ich mache regelmäßig Pausen, um zu futtern und mich nicht allzusehr in der weiten Leere zu verlieren. Auf halber Strecke kommt mir plötzlich eine Herde Kamele entgegen. Majestätisch wandeln sie dahin. Bestimmt um die hundert Stück, weiße, braune und schwarze. Den Hirten entdecke ich in weiter Ferne.
Kurz vor Foum Zguid, es rollt immer noch erstaunlich gut, werde ich noch von einer Polizeikontrolle angehalten. Super freundlich, die Uniformierten. Im Riad Assia werde ich von Abdo, einem sehr humorvollen jungen Marokkaner empfangen und beziehe ein Zimmer am schönen Innenhof.
Sonntag, 12. März 2023
Ruhetag in Foum Zguid
Ich wasche etwas Wäsche, arbeite an meiner Webseite und spaziere durch die verfallene, alte Kasbah ins Dorf, um etwas zu essen. Als ich ins Riad zurückkomme, lehnt ein zweites Fahrrad neben meinem. Es gehört Harald, einem freundlichen Norweger in meinem Alter. Da wir ähnliche Pläne haben, nämlich der Route of Carawans von bikepacking.com zu folgen, beschließen wir, am nächsten Tag gemeinsam zu fahren. Gegen Abend füllt sich das Riad. Das Personal, verstärkt durch ein paar andere Marokkaner macht Musik mit sehr einfachen Mitteln, eine Konga, ein leerer Wasserkanister, etwas Gesang und Klatschen. Stimmungsvoll. Und wir tanzen.
Montag, 13. März 2023
Von Foum Zguid nach Tissint (55 km, 300 hm)
Mit Harald auf Piste durch die Halbwüste
Nach dem Frühstück versorgen Harald und ich uns noch mit Proviant und vor allem Wasser für den Tag. Schon bald landen wir auf einer steinigen Piste. Da ich noch frisch bin, macht das Rumgeholper Spaß. Doch schon bald wird die Piste immer besser, es rollt fast wie auf Asphalt und ich kann meine Augen über die schöne Landschaft schweifen lassen. Ferne Berge, warme Wüstenfarben, hübsche Schirmakazien, ab und zu ein Berberzelt und auch mal ein paar Kamele.
Nach unserer Mittagspause im Schatten eines wohlgeformten Baumes folgt der Anstieg des Tages, leider wieder mega steinig und so schieben wir schon bald. Auch die Abfahrt ist sehr holprig und anstrengend. Harald hatte schon am Vormittag in seinen Hinterreifen, der Luft verlor, Dichtmilch nachgefüllt. Jetzt verliert auch der Vorderreifen Luft. Er zieht drei passable Dornen raus und ich spendiere ein halbes Fläschchen Dichtmilch.
Die letzten Kilometer fahren wir auf einer asphaltierten Straße, extra für uns gebaut, denn sonst ist hier keiner. Auch Tissint, ein nicht ganz kleines Städtchen, ist ziemlich ausgestorben. Fast alle der zahlreichen Läden an der breiten Hauptstraße sind geschlossen. Wir finden ein Café, werden dort aber von lauter Fernsehübertragung schnell vertrieben und nehmen uns ein Zimmer im schönen Riad Iqaid.
Dienstag, 14. März 2023
Von Tissint nach Sidi Rezzoug (55 km, 300 hm)
Mit Wasser beladen wie ein Kamel
Mit Harald verlasse ich Tissint, nachdem wir ordentlich eingekauft haben. Vor allem Wasser, aber auch Brot und Sardinen und Thunfisch in Dosen. Wir werden die nächste Nacht unter freiem Himmel verbringen und tagsüber nirgendwo was einkaufen können. Zudem sind wir im algerischen Grenzgebiet unterwegs und es gibt wohl Militärkontrollen, die auch mal die Durchfahrt verweigern. So beschreiben es die Autoren der Bikepacking.com-Route, die in der Gegenrichtung nicht durchkamen. Auf meine Nachfrage meint der freundliche Marokkaner, dass die Nebenstrecke difficile wäre wegen des Militärs, außerdem sei es sehr weit. Es bleibt also spannend. Ich lade sechs Liter Wasser und zwei Liter Orangensaft (Fruchtgehalt mindestens 15 Prozent, haha).
Weder am Ortsausgang noch am Abzweig zur Piste wartet irgendwer. Es rollt prima auf feinem Schotter, darunter brettharter Untergrund. Die Menschen, die uns heute begegnen werden, lassen sich an einer Hand abzählen. Nennenswerte Höhenmeter gibt es keine.
Zwischendurch kommt mal ein etwas grober, steiniger Abschnitt, dann läuft es wieder. Das Thermometer steigt und die Bäume geben nur noch spärlich Schatten. Nach einer Bodenwelle folgt eine wunderbare Abfahrt. Der Weg ist nur noch ein Singletrack. Leider haben wir einen Abzweig verpasst und müssen anderthalb Kilometer wieder bergauf und auf einen superholprigen Weg abbiegen. Es wird ein elendiges Geschiebe in der Nachmittagshitze. Wir erreichen am Fuße der Bergkette, der wir schon den ganzen Tag gefolgt sind, eine verlassene Oase. Es gibt sogar ein Wasserloch.
Bei Haralds einem Schuh lößt sich die Sohle. Kleine Klebepause. Ein Stück weiter stürze ich etwas unglücklich zwischen den groben Steinen, quasi im Stehen, und falle auf meinen linken Ellenbogen. Es tut so gut wie nicht weh, blutet aber recht stark und da ich das so nicht kenne, saue ich mir mein Shirt und auch mein Nachtshirt ein.
Endlich erreichen wir den Durchbruch in der Bergkette bei Sidi Rezzoug. Wir suchen uns ein Schlafplätzchen zwischen den Palmen, die teils in nicht mehr so fröhlichem Zustand sind. Zwei Marokkaner reiten auf ihren Eseln vorbei. Nach eher spärlichem Abendmahl krieche ich in den Schlafsack. Leider gibt es hier Moskitos, recht kleine Biester, aber irgendwann geben auch sie Ruhe und ich schlummere unter dem Sternenhimmel ein.
Mittwoch, 15. März 2023
Von Sidi Rezzoug nach Tata (35 km, 200 hm)
Ohne Militärkontrolle nach Tata
Ohne Probleme passieren wir den verlassenen militärischen Checkpoint. In der Gegenrichtung ein Schild: „Stop, Poste militaire“. Erst auf schöner und gut zu fahrender Piste, dann auf Asphalt radeln wir gen Tata, einer modernen, aber nicht unhübschen Stadt. Wir kehren ein und speisen erstmal ordentlich. Hier kreuzen sich die Wege der Radler: ein Kanadier und ein Marokkaner kommen uns entgegen. Wir füllen unsere Vorräte auf und gönnen uns ein Zimmer im Dar Infiane, etwas überteuert, aber eine sehr geschmackvoll eingerichtete und stark verwinkelte alte Kasbah.
Donnerstag, 16. März 2023
Von Tata bis Bouzarif (75 km, 1.000 hm)
Auf der Gravel-Autobahn zur Kupfermine
Auf der breiten Asphaltstraße Richtung Taroudant und Agadir rollen wir ganz flott durch die bergige Wüstenlandschaft. Bäume gibt es kaum noch. Ein Paar mit Camper hält an und lädt uns zum Kaffee ein. Nach 35 km kommen wir nach Imitek. Hier soll es den letzten Laden geben, um Lebensmittel einzukaufen. Drei knallrote Cola-Kisten machen auf den Laden aufmerksam. Es gibt Tische und der freundliche Verkäufer bringt uns ne Limo. Brot hat er keines, aber er düst mit dem Rad los und besorgt welches.
Wir treffen Valentin aus Frankreich, der in der Gegenrichtung unterwegs ist, und erfahren, dass die Pistenstrecke wohl sehr gut ausgebaut ist. Dem ist auch so, wie wir nach weiteren 20 km erkennen müssen. Das ist ein bisschen öde. Leider sind auch recht viele schwere LKW unterwegs. Die breite Piste führt zu einer Kupfermine und wir folgen ihr für 40 km. Immerhin sind die LKW-Fahrer super rücksichtsvoll und fahren ganz langsam an uns vorbei.
In einem Wadi in der Nähe von Bouzarif, ganz hübsch aus weißen Kieseln in der sonst roten Bergwelt, finden wir ein Plätzchen zum Schlafen und lauschen dem zum Glück immer weniger werdenden Gedröhn der Motoren.
Freitag, 17. März 2023
Bouzarif bis Tafraoute (75 km, 1.300 hm)
Durch ein grünes Paradies zurück ins marokkanische Leben
Harald spendiert Porridge und heißen Kaffee zum Frühstück. Kein schlechter Service. Heute sind keine LKW unterwegs. Nach einem Kilometer fällt mein Blick auf meinen Vorbau und mit Schrecken stelle ich fest, dass der Steuersatzdeckel fehlt. So ein Mist. Beim Taschenmontieren heute Morgen war mir nichts aufgefallen. Das Teil müsste also auf dem Weg heute morgen verloren gegangen sein. Wir kehren um. Ich scanne akribisch den Weg ab, doch leider finden wir es nicht, nicht auf der Straße und auch nicht auf dem Teilstück im Wadi zu unserem Zeltplatz.
Gefrustet trotte ich durchs Wadi zurück zur Straße. Mit Harald sinniere ich darüber, wie wichtig das Teil ist. Ich wünsche es mir zurück und sage das Harald. Kaum mache ich den Mund zu, da fällt mein Blick, ich war gar nicht mehr am suchen, auf das Teil. Was für ein Glücksmoment. Ich war gar nicht mehr am Suchen, sondern mit meinem Wunsch verbunden, da kam das Teil zu mir zurück. Na, wenn das kein Gottesbeweis oder Beweis für sonstwas ist.
Es ist ziemlich stark bedeckt. Wir passieren die Kupfermine Akka, für die die Straßen hier so breit ausgebaut sind. Regen ist nicht vorhergesagt. Er kommt aber doch. Der Wind wird ziemlich stark und es regnet so stark, dass wir unsere Regenklamotten anziehen. Nach 15 Minuten ist alles wieder vorbei. Wir sind auf der Asphaltstraße angekommen, die über einen Bergrücken führt. In Afella Ighir gibt es ein Café und wir trinken ne Limo, dazu ein Omelette.
Wir biegen in das grüne Tal von Ait Mansour ein. Wunderschöne Palmengärten und hübsche Dörfer zwischen steilen roten Felswänden. Einer meiner Lieblingsorte in Marokko, den ich vor fünf Jahren kennengelernt habe. Ich finde es schon ziemlich paradiesisch. Bei einem weiteren Omelette überlegen wir, wie es weitergehen soll. Ich will noch nach Tafraoute heute. Harald kommt mit. Es sind noch einige Höhenmeter am Ende der Schlucht zu bewältigen, aber irgendwann haben wir es geschafft. Ne Limo im Café und es geht in der Abendsonne runter gen Tafraoute bei überwältigender Aussicht.
Wir streifen noch die Bemalten Felsen und auf skurriler sandiger Piste geht es runter in die Stadt. Wir nehmen uns ein Zimmer in der Auberge Les Amis und gehen noch lecker essen.
Samstag, 18. März 2023
Von Tafraoute nach Tnine Aday (60 km, 1.000 hm)
Das letzte einsame Tal
Heute ist Abschied angesagt. Harald bleibt in Tafraoute. Ich will in zwei bis drei Tagen auf der bikepacking-Route bis Tiznit radeln. Es war ne schöne gemeinsame Zeit und hat prima geklappt zusammen. Spaß hatten wir auch. Jetzt bin ich gespannt, wie es ist, wieder alleine unterwegs zu sein.
20 km rolle ich auf Asphalt gemütlich und besinnlich bergab. Dann biegt die Piste ab, erst über einen kleinen Pass und dann steil aufwärts bis auf 1.755 m. Das Tal ist wunderschön. Die Häuser sind sher gut erhalten oder auch frisch renoviert. Menschen sind hier jedoch keine unterwegs. Die steile Piste macht mir ganz schön zu schaffen. Auf 1.200 m stoße ich auf eine Asphaltstraße und nach kurzem Überlegen beschließe ich, auf den Pass und die weitere Quälerei zu verzichten und folge der Straße ins nächste Tal. Auch hier sind die Ortschaftenin erstaunlich gutem Zustand. Ab und zu ist hier auch mal jemand unterwegs.
Sonntag, 19. März 2023
Von Tnine Aday nach Tiznit (60 km, 400 hm)
Abschiedsetappe
Bis Tiznit kommen jetzt nur noch kleine Berge. Mir begegnet Rob aus England, der schon länger mit dem Rad unterwegs ist und jetzt der bikepacking-Route folgt. Ich muss noch über einen kleinen Berg schieben, 100 Höhenmeter auf übler Steinpiste. Dann folgt eine flache Hügellandschaft. Bewässerungsfelder, kleine Palmenoasen, karge Steinwüste und auch ganz hübsche Abschnitte wechseln sich ab. Tiznit erscheint am Horizont. Eine entspannte Stadt, die mir gut gefällt. Ich rolle langsam durch die Medina und nehme ein Zimmer im Riad Le Lieu.
Montag bis Mittwoch, 20. bis 22. März 2023
Rückkehr mit dem Bus nach Marrakesch und Rückflug nach Bremen
Die Fahrt mit dem Bus dauert rund 6 Stunden, für gut 300 km. Die Landschaft zwischen Agadir und Marrakesch ist ganz wunderbar und lässt mich träumen, hier auch mal lang zu radeln. Am Abend treffe ich nochmal Harald. Wir essen an einem Stand auf dem Djemma-el-Fna und schlendern noch durch die Souks. An meinem letzten Tag in Marrakesch unternehme ich nicht viel. Ich wasche mein Rad in einer Waschanlage und verbringe die meiste Zeit in Cafés und Restaurants.
Die Abfertigung am Flughafen hält zum Abschluss meiner Reise noch eine Überraschung für mich bereit. Zwei Stunden vor Abflug bin ich am Flughafen. Das sollte doch reichen. Der Röntgencheck am Eingang geht recht fix. Ich muss nur meine Kamera auspacken, da der Kontrolleur eine Drohne vermutet. An der Gepäckaufgabe stehe ich ziemlich weit hinten in der Schlange und es geht elend langsam voran. Nach einer halben Stunde merke ich dank anderer Fluggäste, denen es genauso erging, dass ich in der falschen Schlange stehe. Ich muss zu Eurowings und nicht zur Lufthansa. Die Schlange dort ist noch viel länger und es geht noch langsamer. Ich unterhalte mich aber mit drei Menschen aus München. Irgendwann bin ich dran. Es wird langsam aber auch Zeit. Ich erfahre, ich muss noch für den Radtransport bezahlen und dafür an einen extra Schalter. Dort komme ich gleich dran. Irgendwie dauert das aber und ich werden immer nervöser. Dann erfahre ich: meine Kreditkarte wird nicht akzeptiert. Gestern hatte ich damit noch Geld am Automat abgehoben. Bares wird auch nicht akzeptiert. Was nun? Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich kann nicht fliegen! Verzweiflung breitet sich in mir aus. Die freundliche Marokkanerin meint, ich solle Freunde um ihre Kreditkarte bitten. Na toll, ich habe hier weit und breit keine Freunde.
Vrzweifelt schiebe ich mein Rad zurück zur Gepäckaufgabe. Dort stehen die letzten drei Fluggäste. Ich frage sie, ob sie mir helfen. Ich sehe, wie bei ihnen innerlich die Rolladen runtergehen. Ich solle doch mal da drüber fragen. Alles klar. Vielen Dank.
Da tauchen die drei aus München aus dem nichts wieder auf. Sie hatten auch Sperrgepäck. Ich frage sie und die Frau sagt sofort: na klar, ich helfe. Ich gebe ihr die neunzig Euro, die der Radtransport kostet. Sie legt ihre Kreditkarte auf den Tresen. Der wird von der Marokkanerin aber nur beäugt. Und ich bekomme den Beleg! Ich vermute, geschenkt!
Ein Typ begleitet mich zur Gepäckaufgabe und zum Sperrgepäckschalter. Jetzt aber fix. Das Boarding hat schon begonnen. Ich drängle mich durch die Passkontrolle und Sicherheitskontrolle, dann noch eine Passkontrolle. Nur einmal bekomme ich einen Spruch, dass alle es eilig hätten. Ich schaffe es locker in den Flieger, denn der hat rund einen halbe Stunde Verspätung. Mega erleichtert und glücklich sinke ich in meinen Sessel und freue mich jetzt sehr auf Zuhause und über die vielen schönen Eindrücken meiner tollen Reise.