Für die erste Etappe meiner neuen Route muss ich auf den Pass vom Vortag wieder zurück. Der Wind hat gedreht und ich habe, wie so oft hier, Rückenwind. Auf dem Pass biegt eine Piste nach Osten ab und folgt einem Tal bis zu einem See nach etwa zehn Kilometern. Und dort hört die Straße einfach auf! Was soll das denn? Meine Karte hilft nicht weiter. Die Route geht am anderen Ende des Sees, etwa 1,5 Kilometer, weiter. Am Ufer liegt ein Ruderboot. Ich traue mich aber nicht, es zu benutzen, denn es herrscht starker Wind und ich müsste mit dem Zweitboot vom andern Ufer gegen den Wind zurückrudern. Keine Ahnung, ob ich das schaffen würde. Zurück und über einen Umweg wieder auf die Route stoßen? Möglich, aber nicht geil. Ich entscheide mich nach einigem Hin und Her dafür, das Rad nördlich des Sees über die flachen Hügel und viel Sumpf zu schieben. Ich muss zwei Flüsse furten. Es ist anstrengend und aufregend, doch ich schaffe es und stoße wieder auf die Piste. Erstmal Pause und was futtern. Nach dem Überstandenen kannmich der jetzt folgende Anstieg nicht mehr schockieren. Tut er aber doch. Auf drei Kilometern geht es 300 Meter hoch. Immer mal flach und dann wieder steil, zum Teil megasteil. Teilweise trage ich das Rad eher hoch, als dass ich schiebe. Nach eineinhalb Stunden ist es vollbracht. Spaß hat das keinen gemacht und nochmal muss ich das nicht haben. Ich nehme es als Test meiner Grenzen und worauf ich gerne verzichten kann.
Oben treffe ich auf einen Polen mit Mountainbike, der auf dem Highland Trail 550 unterwegs ist. Das hatte ich auch mal in Erwägung gezogen, ist mit meiner Wuchtbrumme von beladenem Fahrrad aber keine gute Idee. Es geht steil wieder bergab, an einer kleinen Schlucht mit Wasserfall vorbei und stößt auf einen etwas besser ausgebauten Fahrweg, dem ich bis zum Loch an Aslaird folge. Mit Blick auf den See baue ich mein Zelt auf.
Ich bekomme noch Besuch von Robin und seinen beiden kleinen Töchtern, die auf einem „evening drive“ sind. Er ist sehr redselig und begeistert, dass ich hier bin. Ihm gehört das ganze Land. Er zeigt mir Hirsche oben auf dem Bergrücken. Seine Töchter machen alles was er sagt: sie sagen „Guten Abend“ und stellen sich mit mir für ein Foto auf.
Freitag, 31. Mai 2024
Vom Loch an Aslaird nach Croick (85 km, 1.200 hm, etwa die Hälfte Schotter)
Mittlerweile kann ich mir doch vorstellen, weiter auf dem An-Turas-Mor-Trail zu fahren. Profil und Wegekategorien sehen nicht so schlimm aus. Es stürmt etwas und heute mal von vorn. Habe ich den Wind gestern zu früh gelobt? Ich komme auf die Hauptstraße, biege links ab und was macht der Wind? Er kommt von hinten, wi sich das gehört. Die Landschaft ist nicht so prickelnd. Den nächsten Berg darf ich aber auf Asphalt überqueren, ohne schieben, und bin dankbar dafür.
In Rosehall gibt es doch keinen Laden, aber einen Tearoom, der mir Lasagne mit Chips und Coleslaw und sogar ner kleinen Ecke Salat serviert. Bei Oykelbridge, welch lustiger Name, beginnt der nächste Anstieg, Schotter, gemäßigt steil, fahrbar, auf der anderen Seite ins Cassley-Tal. Bei der alten, kleinen Croick Church beginnt ein wunderschönes Tal mit kompliziertem Namen. Ich bin im Alladale Wildernes Reserve und finde einen genialen Zeltplatz am anderen Flussufer, so dass ich gleich auch noch saubere Füße bekomme. Dann kommt auch noch die Sonne raus, die sich den ganzen Tag versteckt hatte.
Sonntag, 1. Juni 2024
Von Croick nach Cannich (95 km, 1.300 hm, etwa zwei Drittel Offroad)
Nach dem Frühstück und dem Einpacken gibt es beim Zurückfurten zum Weg wieder nasse Füße. Zwei leicht bepackte Mountainbiker und ein sehr schneller Trupp mit Gravelrädern kommen mir entgegen. Gesprächiger ist ein Typ, der mich auf der nächsten Abfahrt, 30 km durch ein langgestrecktes Tal bis nach Contin, einholt. In Contin gibt es den weit und breit einzigen Laden und ich fülle meine Vorräte auf.
An Fairburn, einem noblen Herrenhaus, in dem eine Behinderteneinrichtung untergebracht ist, vorbei geht es durch ein langweiliges Tal bergan bis zu einem Stausee und noch ein Stück weiter hoch. Die Gegend ist öde. Es wächst nur Heidekraut und dazwischen ein paar Gräser. In den Fahrspuren steht immer häufiger Wasser, teilweise ganz schön tief. Auch die Ausweichspuren sind matschig und ich bleibe öfter mal stecken und saue mich ein. Nicht weiter schlimm, ich trage Wandersandalen.
Nach dem Pass auf rund 400 Metern wird die Landschaft abwechslungsreicher: Seen, Wälder, saftiges Grün. Die Abfahrt ist technisch anspruchsvoll und ich merke, dass meine Fahrkünste immer besser werden. Macht Spaß. Und ich drücke einen Gegenanstieg auch mal in einem größeren Gang hoch. Endlich komme ich wieder auf eine asphaltierte Straße. Flach radle ich durch ein ruhiges, hübsches Tal bis Cannich und quartiere mich auf dem Campingplatz ein.
Sonntag, 2. Juni 2024
Ruhetag in Cannich
Ich kann mich nicht recht entscheiden, wie es weitergehen soll. Meine letzten Tage in Schottland sind angebrochen. Ich könnte auf dem An-Turas-Mor-Trail bis Glasgow durchheizen. Es kommen aber noch etliche Anstiege. Das ist mir zu anstrengend und auch zu hektisch. Also lege ich erstmal einen Ruhetag ein. Der Campingplatz in Cannich ist super. Es gibt Wifi, sogar in meinem Zelt, und ein kleines Café, in dem ich mir heute mein Frühstück gönne. Die herzhafte britische Version, diesmal als vegetarische Variante mit kleinem Rösti und Hallumi. Ich gehe noch Einkaufen, lese und sitze am Rechner. Mein Plan: in zwei Tagen gemütlich bis Fort William radeln, dann mit dem Zug nach Edinburgh und zwei Tage die Stadt besichtigen. Ein Bett im Hostel in Stadtmitte kostet rund 90 €. Ich gehe wahrscheinlich auf einen Zeltplatz außerhalb, dreiviertel Stunde zu Fuß und mit Bus, 30 €.
Montag, 3. Juni 2024
Von Cannich zum Bothy unterhalb des Corrieyairack-Passes (52 km, 1.300 hm, meist Offroad)
Heute wird es anstrengend. Ich habe den Plan von gestern über den Haufengeworfen und will doch noch ein Stück weiter radeln. Drei Berge liegen vor mir. Der Wind bläst kräftig von vorne rechts. Und mein Körper will nach dem Ruhetag nicht so richtig. Das Tal von Cannich ist noch ganz hübsch. Dann wird es eher öde, vor allem, als ich aus dem Wald raus bin. Langweilige, karge Hochfläche. Im nächsten Tal Wirtschaftswald. Auf der nächsten Anhöhe bietet ein kleiner Singletrack, für mich gut fahrbar, etwas Abwechslung. Der Track kreuzt ein kleines, süßes Tal – ein wunderbarer Zeltplatz.
Dienstag, 4. Juni 2024
Über den Corrieyairack-Pass zum Loch Ghuilbinn (60 km, 1.000 hm, meist Offroad)
Für heute sind Regenschauer und Sturm vorhergesagt und das schottische Wetter hält mal, was es verspricht. In einer Regenpause breche ich auf und schiebe mein Rad über groben Schotter zwei Stuunden lang den Pass hoch. Es weht ein eisiger Wind, doch ich bleibe trocken. Auf dem Pass angekommen, merke ich doch, wie kalt mir trotz der Anstrengung geworden ist. Mit meinen kalten Fingern bekomme ich gerade so die Reissverschlüsse meiner Jacke zugezogen und die Handschuhe an. Den Helmverschuss bekomme ich nicht auf. So geht es ohne Kapuze in die steile geröllige Abfahrt. Zuvor ereilt mich noch ein Hagelschauer. Mein Thermometer zeigt ein Grad.
Das Tal ist schön und die Sonne zwischen den Schauern wirft tolles Licht und Schatten. Im Tal erreiche ich den langgestreckten Loch Loggan. Er hat einige wunderschöne Sandbuchten. Das Licht ist hier und genauso am nächsten See, dem Loch Ghuilbinn, an dem ich Zelte, ganz zauberhaft, Sonne und schwarze Wolken, genauso wie ich es am liebsten mag. Von meinem Zeltplatz habe ich ne super Aussicht auf das saftig grüne Tal und den See. Ein Hagelschauer rüttelt am Zelt. Dafür gibt es noch einen Regenbogen. Ich lasse die Fotos sprechen.
Mittwoch, 5. Juni 2024
Von Loch Ghuilbinn zur Bahnstation Corrour und mit der Bahn nach Edinburgh (13 km, 100 hm, Schotter)
Das Tal ist grau und verregnet. Ein Blick auf die Gipfel zeigt, es hat da oben geschneit. Die Berge sind bis knapp über tausend Meter hoch. Schneegrenze vielleicht bei sieben, achthundert. Ich bin auf vierhundert. Kein Wunder, die Nacht war frisch. Aber ein schöner Quilt aus den Vereinigten Staaten hat mich warm gehalten bei wahrscheinlich wenig über null Grad.
Zusammenpacken kann ich in einer Regenpause. Auf den letzten 13 Kilometern bis zum Haltepunkt Corrour regent es jedoch, nicht stark, aber beständig. Dort soll es ein Café geben und ich freue mich auf einen Kaffee und ein zweites, herzhaftes Frühstück. Kurz vorher kommt die Sonne durch. Was für ein gigantisches Licht. Die Wolken geben ein paar weitere Schneegipfel frei. Davor ein Regenbogen. Schnee im Sommer, das gibt es hier selten, höre ich später.
Das Café ist ganz wunderbar, das Frühstück auch. Ich habe drei Stunden bis der Zug nach Glasgow fährt. Ich kaufe eine Zugfahrkarte nach Edinburgh im Internet und buche eine Unterkunft dort. In Schottland muss man sich die im Internet gekaufte Fahrkarte am Bahnhof ausdrucken. Es soll 1.700 Drucker dafür geben, jedoch leider nicht hier. Das wäre kein Problem, meint ein Schotte mit großem Trekkingrucksack. Das sieht der Schaffner im Zug anders. Er müsse mir noch eine Fahrkarte bis Glasgow verkaufen. Die bekäme ich dann zurückerstattet. Verstehe das einer. Er bemüht sich jedoch, mir das zu erklären, und so glaube ich ihm.
Der Zug fährt durch fantastisch schöne Landschaft. Grüne Berge, kleine Täler, Seen, plätschernde Bächlein und Flüsse. Ich bin hingerissen und auch etwas wehmütig, dass ich nicht hier langradle. Oder kommt es mir nur so schön vor, weil ich im Sessel sitze? Keine Ahnung. Besser jedoch, mit Wehmut Abschied zu nehmen, als mit dem Gefühl, gut, dass es vorbei ist.
In Glasgow hat der Zug etwas Verspätung, so dass ich meinen Anschluss nach Edinburgh verpasse. Nicht so schlimm, die Züge fahren alle 30 Minuten. Doch der nächste fällt aus und, wie ich erfahre, wohl auch der übernächste. Signalization fault, oder so. Es fahren allerdings Bummelzüge und so nehme ich halt den. Es sind nur rund 100 Kilometer, ne gute Stunde dauert die Fahrt. Ich habe mich etwas außerhalb in die Lanark Residence einquartiert, drei Nächte á 180 Euro. Das kleine Apartment mit Küche ist sauber, ruhig und modern. Ein Bus ins Zentrum fährt vor der Haustüre ab.