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Niedersachsen, 26. Dezember 2024

Vom Hohen Meuchtin im Wendland nach Hitzacker an der Elbe

77 km, 250 Höhenmeter

Nachts hat es geregnet. Die Hütte war ein prima Ort. Nach Frühstück und Packen steige ich auf den Aussichtsturm, in luftiger Holzständerbauweise errichtet und bis über die Baumwipfeln ragend. Die Aufgehende Sonne versteckt sich leider hinter Wolken und es weht eine ordentliche Brise hier oben. Ich trage mich noch ins Hüttenbuch ein.

Bis zur asphaltierten Straße geht es auf nassen Wegen ruckelig bergab. Dann rolle ich gemütlich dahin. Die immer wieder zwischen den Wolken durchbrechende Sonne zaubert ein phantastisches Licht auf die von Grün-, Braun- und Gelbtönen und viel Wasser geprägte Landschaft. In einer großen Schleife fahre ich von Rundlingsdorf zu Rundlingsdorf, Bussau, Meuchefitz, Satemin und andere. Auf den schmalen Wegen ist nichts los, auf größeren Straßen etwas mehr. Sehr angenehm.

Von Süden nähere ich mich Lüchow. Mein Magen ist ein großes leeres Loch. Ich lande auf einer Fahrradstraße entlang des Flüsschens Jeetzel und einer stillgelegtne Bahnstrecke, mitten durch die Landschaft, breit und frisch asphaltiert. Natürlich endet sie im Irgendwo und es gibt nicht mal Hinweisschilder, wo es weiter nach Lüchow geht.

 

Da in Lüneburg alle Restaurants zu hatten, greife ich mir gleich das erste geöffnete in Lüchow. Ein Chinese, Chef und Teile des jugendlichen Personals sehen eher nach Indien aus, sehr gut besucht, reichhaltiges und sehr leckeres Bufett für 23 €. Während ich in mich reinstopfe, was geht, was leider nicht sehr viel ist, regnet es passenderweise draußen. Als ich weiterfahre ist es wieder schön.

 

Weiter geht es durch die großartig beleuchtete Szenerie, öfter mal mit strammem Gegenwind, da ist jetzt gen Osten und Norden fahre. Für die Nacht habe ich mir eine Hütte etwa 10 km elbabwärts von Hitzacker ausgesucht. Nach einem kleinen Fotostopp lege ich mich beim Wiederaufsteigen voll auf die Fresse. Während mein eines Bein über den Sattel schwang, blockierte das Hinterrad. Ich finde jedoch keine Ursache, kein Stock, kein Riemen zwischen den Speichen. Seltsam. Vorsichtig radel ich weiter.

Regen setzt ein und erstmals ziehe ich meine Radhose über. Hitzacker hat einen hübschen Ortskern. Der Weg führt jetzt direkt an der Elbe auf schmalem Weg unterhalb es Steilufers. Ich genieße die spezielle Romantik von Einsamkeit, riesigem Fluss, Dunkelheit und Regen von oben. Ein Baumstamm hängt über dem Weg. Ich passe so gerade drunter durch. Da merke ich, das Hinterrad wackelt. Ich überprüfe alle Schrauben am Hinterbau. Alle sitzen. Hä, wieso wackelt das Rad trotzdem? Da sehe ich es: ich habe die Steckachse verloren. Wie blöd ist das denn? Ich suche noch etwas rum, bin mir aber ziemlich sicher, ich habe sie schon vor meinem Sturz verloren, also mindestens fünf Kilometer her. Kaum eine Chance, sie in der Dunkelheit wiederzufinden.

 

Auch Ersatz zu beschaffen scheint mir kompliziert. Radladen in Hitzacker, Lüneburg oder Hamburg? Immerhin ist morgen kein Feiertag mehr. Ich fahre, denn das geht ja auch zur Not ohne die Achse, zum Bahnhof von Hitzacker, den es immerhin gibt, und er ist auch in Betrieb. In Zwei Stunden fährt ein Zug nach Lüneburg. Um halb zwölf wäre ich in Bremen. Ich entscheide mich dafür, die Tour abzubrechen, bin traurig und enttäuscht. Es waren sehr schöne, erlebnisreiche Tage. Und auch ein erfolgreicher Test für die große Tour.

 

Ich habe gefunden, was ich mir gewünscht habe: nicht nur, dass alles funktioniert, ich überlebe, ich alles geregelt bekomme, sondern auch Geborgenheit, Spaß und Glück und viel Schönheit. Trotz der widrigen Umstände: Kälte, Nässe, Matsch, Sturm, Dunkelheit, Überflutungen, eine Erkältung, feuchtes Equipment. Meinem sportlichen Ehrgeiz – gerne hundert Kilometer am Tag – meiner Lust auf Bewegung und Ziele konnte ich gut Raum geben. Trotzdem stand der Wunsch im Vordergrund, entspannt und genussvoll dahin zu radeln und in guter Verbindung mit dem kleinen und großen Schönen in mir und um mich herum zu sein.

 

Warum bloß hab ich diese Achse verloren? Was lerne ich daraus? In Marokko im März diesen Jahres hatte ich den Steuersatzdeckel verloren, weniger folgenschwer und mit wundervoll glücklichem Ausgang, denn ich fand ihn wieder. Zunächst ein Lob an die Konstrukteur*innen des Hinterbaus, der ein so problemloses Weiterfahren ohne Achse ermöglicht. Ein Lob auch an mich für mein ruhiges, entspanntes Pedalieren ohne Fahrmanöver, die den Hinterbau gefordert hätten. Bei meinem Sturz hätte ich genauer erforschen sollen, was die Ursache war, dann hätte ich schon da das Fehlen der Achse bemerkt. Vielleicht war sie da ja gerade rausgerutscht? Ich sollte mich besser um den Zustand meines Rades kümmern, nicht nur um die Schrauben von Steuersatz und Steckachsen.

 

Das Glück scheint mir heute nicht so ganz hold gewesen zu sein. Durch den Abbruch der Tour spüre ich jedoch deutlich, wie schön ich sie fand, wie gerne ich sie fortführen würde, wie gut ich alle Herausforderungen bewältigt habe. Meine Sehnsucht nach dem großen Abenteuer lebt: mit dem Rad um die Welt ab nächstem Jahr.

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