Tschechien - Deutschland (Teil 3) - Österreich (Teil 1)
Durch den Böhmerwald - über Chamb-, Regen- und Donautal bis Passau - über Inn- und Salzachtal bis Salzburg
23. bis 28. November 2024, fünf Etappen, ein Ruhetag, 500 km, 4.000 Höhenmeter
Morgens, gerade wenn ich ein Zimmer genommen habe, wache ich oft mit schweren Gedanken auf. Mein Bauch drückt. Mein Herz ist flattert. Ich habe Angst, was kommt. Angst vor dem Ungewissen. Heute zum Beispiel die Angst vor einem neuen Land in dem kein Deutsch gesprochen wird und auch sonst vieles anders ist. Das Gefühl sitzt tief, ist alt und unspezifisch, im Kern wohl Angst vor Einsamkeit. Es ist nicht leicht, es anzunehmen.
Ich kann jedoch, ganz zart, wahrnehmen, dass hinter der Angst das Schöne auf mich wartet. Ich sehe es und werde dankbar. Die Neugierde darauf treibt mich an. Ich schleppe mich durch schweren Treibsand. Aber es geht voran. Sobald ich mich bewege, draußen an der frischen Luft, wenn dann noch die Sonne scheint, dann wird mir leichter, ich werde ruhiger, zufriedener mit mir, verbundener. Ich genieße mein Tun, komme im Moment an. Manchmal ist auch Stolz dabei.
Von Selb ist es nur ein Katzensprung durch verschneiten Wald bis zum kleinen Grenzschild der Tschechischen Republik. Das neue Land fühlt sich auch anders an, weniger zuhause. Ein charmantes Dorf mit aufragendem Schloss begrüßt mich. Alles ist etwas marode. Ich mag das, mehr als das protzig-perfekte, unlebendige, das in Deutschland so oft vorherrscht. Hier sind auch viel mehr Menschen auf der Straße. Auch ein Gegensatz zu Deutschland.
Die erste Stadt, Cheb, hat ein richtig schönes Zentrum mit schicken, alten, imposanten Gebäuden. Fast schon etwas touristisch. Die Radwege sind sehr gut ausgeschildert. Die gelben Schilder finde ich eine bessere Lösung als die weiß-grünen bei uns, da sie auffälliger sind.
Es geht viel rauf und runter. In den höheren Lagen liegt Einiges an Schnee und teilweise ist die Straße vereist. Ich muss mich konzentrieren, um mich nicht auf die Fresse zu legen. Die Schutzhütten am Wegesrand sind leider nicht so toll, meist nur überdachte Sitzbänke. Direkt am Weg. Zum Übernachten nicht geeignet. Eine dagegen ist größer. Es gibt ne Luftpumpe und Werkzeug.
Am ersten Abend steuere ich eine "unbewirtschaftete Schutzhütte" im Wald an. Ich sehe mich schon in einer richtigen Hütte am Kaminfeuer sitzen. Ist aber ein Flopp. Genau so die nächste - zu nah an der Stadt. Was nun? Es ist schon dunkel. Eigentlich habe ich null Bock auf nasskalte Dunkelheit in der Fremde. Es gibt mehrere Hotels und Pensionen in Tachov, aber nichts passt. Gefrustet radle ich weiter. Zur Not bis tief in die Nacht, denkt der Trotzkopf in mir. Irgendwas wird sich schon finden. Das geht schneller als gedacht. Nach fünf Kilometer zweige ich in ein Wäldchen ab und finde ein hübsches Plätzchen für mein Zelt an einem mäandrierenden Bächlein. Ganz ruhig.
Am nächsten Tag will ich mir ein zweites Frühstück gönnen. Ich lande an einer Autobahnraststätte unweit der Grenze zu Deutschland. Hier gibt's einen riesigen Markt für allen erdenklichen Ramsch und Kitsch. Riesige Kisten mit Silvesterböllern werden angeboten. Sonntag morgens um halb zehn ist noch nicht viel los. Die Restaurants haben noch dicht. Zehn Kilometer weiter dann ein gutes Restaurant. Günstige Preise, viele deutsche Gäste, die hier um elf Uhr Schnitzel essen. Guter Service. Riesen Angebot. Ich futter einen Germknödel, sehr lecker.
Berg reiht sich an Berg und ich rutsche auf dem tauenden Schnee rauf und runter. Rauf schwitze ich wie blöd. Runter wird es arschkalt. Im Mittel passt es ganz gut. Immer wieder sind romantische, hübsche Abschnitte dabei. Den letzten großen Berg, 400 Meter rauf auf über 900 Meter, wer weiß, wieviel Schnee da oben liegt, schenke ich mir und fahre außen rum. Tagespensum 1.500 Höhenmeter bei 90 Kilometer, das reicht. Ich gönne mir ein Zimmer und die freundliche Wirtin hat Schweinebraten mit Kraut für mich.
Ich verabschiede mich vom Böhmerwald, denn es warten mit 1.200 Metern zu hohe Berge. Ich wende mich dem sanfthügeligen Bayern zu. Es wird der erste Tag mit Genussradeln. Die Sonne scheint vom wolkenlos Himmel und wärmt, so dass ich prima eine schöne Pause auf einer Bank am Wegesrand machen kann. Es rollt locker durch die Täler von Chamb, Regen und schließlich Donau. Der einzige längere Anstieg erfolgt ganz sanft auf einer stillgelegten Bahntrasse. Die Landschaft ist schön, das Licht der tiefstehenden Sonne auch.
Die Zeltplatzsuche dauert heute etwas. Riesige Deichbaustelle: „Polder Straubing“. Nirgends etwas Passendes zu finden. Ich drehe um und fahre drei Kilometer zurück zu einer zunächst verworfenen Stelle am Ufer der Donau hinterm Deich.
Gestern bin ich bei klarem Sternenhimmel ins Zelt gekrochen. Heute morgen regnet es, und zwar den ganzen Vormittag. So kann ich gut üben, mein Zeug im Regen einzupacken und mein Regenequipment zu testen. Das Frühstück nehme ich beim Bäcker in Deggendorf, sehr lecker und freundliche Bedienung. Wie in allen größeren Orten steht auch hier ein Weihnachtsmarkt.
Mittags hört der Regen auf. Der Radweg verläuft hübsch am Donauufer. Umleitungen sind super ausgeschildert. Vereinzelt schaut die Sonne durch. Sie kommt aber nicht gegen den immer dichteren Nebel an. Dafür gibt es tolle Stimmungen.
Passau ist der Hammer, mir aber zu protzig und zu touristisch. Der schwere bayerisch-katholische Nebel dräut über den Dächern. Also geht es weiter nach Österreich. Auch Schärding ist sehr schick, mit Kurbetrieb. In einem bodenständigen Wirtshaus esse ich gebratene Knödel mit Salat, dazu ein Bier.
Im Dunkeln radle ich noch zwanzig Kilometer auf dem Innradweg bis zu einer Schutzhütte, neben der ich mein Zelt aufbaue.
Der Morgennebel hüllt den Innradweg in schummriges Licht und zaubert manch nette Szenerie. Braunau bekommt eine Chance von mir und ich werde nicht enttäuscht: freundliche Menschen, leckerer Wiener Melange und Sachertorte.
Bei Berghausen gibt es die "weltlängste Burg" zu bestaunen. Über einen Kilometer soll die Anlage sich über einen Bergrücken ziehen. Ich biege auf den Salzach- oder Tauernradweg ab. Die Salzach ist leider stark kanalisiert und der Radweg entsprechend langweilig. Dafür schafft es die Sonne durch die Wolken und am Horizont erscheinen die ersten echten Berge: mit Spitzen und Zacken und steilen Flanken. Ist das nicht der Watzmann?
Bei einer Bank treffe ich Hans, einen sympathischen Radler aus der Gegend, der viele Fragen zu meiner Ausrüstung hat. Vor Salzburg wird der Radweg auf längerer Strecke umgeleitet. Voll nervig, den die Beschilderung ist lückenhaft und da es jetzt Dunkel ist, schlecht zu erkennen. Mein Hotel ist ein großer, zweckmäßiger Laden im Gewerbegebiet zwischen Bahntrasse und Einfallsstraße. Etwas romantischer hatte ich mir Salzburg schon vorgestellt.
Das Wetter am Ruhetag ist echt mies und richtig Bock auf Sightseeing habe ich auch nicht. Zum Glück kann ich Wäsche waschen und meine Webseite aktualisieren. Um zwei fahr ich mit dem Bus ins Zentrum, durch die gut gefüllten Altstadtgassen flanieren, Schaufenster und Weihnachtsmarkt gucken, den üppigen Dom – alles nicht so ganz meins. Die große Festung schon eher.