Deutschland (Teil 1)
Bremen - Lüneburger Heide - Elberadweg - Saaleradweg bis Bernburg
11. bis 17. November 2024, fünf Etappen, ein Ruhetag, 500 km
Ich habe es doch tatsächlich geschafft und bin aufgebrochen. Die letzten Wochen der Vorbereitung und des Abschiednehmens waren sehr bewegend und je näher der anvisierte Abreisetermin rückte, um so weniger fühlte ich mich bereit. Mein Gefühl für mein Projekt wurde immer diffuser. Stattdessen rückte andere Emotionen in meinen Fokus: die Abschiede von so vielen lieben Menschen, der Abschied von meinem Zuhause und auch der Abschied von Bremen, das mir zur Heimat geworden ist. Auch wurde ich innerlich immer kleiner und sehnte mich nach Geborgenheit und Wärme. Ich bekam Angst, dass mir vieles fehlen würde, wonach ich mich sehr sehnte oder was mir sehr ans Herz gewachsen war. Mir schien, ich könnte das alles gar nicht tragen. Ich wollte das Gefühl der Schwäche nicht übergehen, denn es war authentisch und tief verborgen in mir gab es die Gewissheit, dass der richtige Moment für den Aufbruch kommen würde.
Am Dienstag früh war es so weit. Am Sonntag hatte ich meinen Futon und die letzten Reste aus meinem Zimmer in den Souterrainraum geräumt. Ein weiterer Moment des Abschiedes, der mir nicht leicht fiel, weiche Knie und leichten Schwindel verursachte. Ich machte einen Spaziergang durch die Bremer Schweiz und fühlte mich orientierungslos und nicht ganz bei mir. Abends ging ich ins Kino bei mir um die Ecke, Sneak Preview.
Nachts träumte ich, wie meine Freund*innen mich davor bewahrten, angegammelte Leberwurst zu essen. Wir entsorgten sie gemeinsam. Irgendwie gab mir dieses Bild Kraft und als ich erwachte, spürte ich die Kraft abzureisen, Lust auf Abenteuer und das Ungewisse. Keine olle Leberwurst mehr! Sondern richtig krasse Nahrung für ein gelebtes Leben! Ich ging ein allerletztes Mal zu Dynamischen Meditation, stärkte mich dort, alles in mir durfte sein, wie es ist. Zugegeben, manche Ängste und Bedenken schob ich beiseite, um meinen Entschluss nicht zu gefährden.
Rad gepackt und los. Ein kurzer Abschiedsbesuch bei Oly in seinem Laden und raus aus der Stadt nach Norden. Mein Herz pochte enorm, aber es lief und mit jedem Kilometer wurde ich ruhiger. Über schöne herbstliche Wiesen und bunte Wälder ging es nach Fischerhude, immer an der Wümme entlang. Ziel: der Wilseder Berg, wo ich auch bei meiner Weihnachtstour Ende letzten Jahres übernachtete.
Mitten in der Nacht der erste Hammer: stechende Bauchschmerzen weckten mich. Seit einenhalb Jahren bekomme ich immer mal wieder heftige Reaktionen, ursprünglich ein heftiger Hautausschlag, vermutlich Urticaria, Nesselsucht, in letzter Zeit aber mehr eine Symptomatik des Magen-Darm-Traktes. Teilweise auch mit starken Kreislaufschwierigkeiten verbunden. Keine Ahnung, woher das kommt und durch was es ausgelöst wird. Die Ärzte sagen: Allergie. Ein Notfallmedikament habe ich dabei. Auch in dieser Nacht bringt mich mein Kreislauf an die Grenze der Bewusstlosigkeit. Ich entleere mich komplett. Dann schlafe ich durch.
Geschwächt und etwas verdutzt, was das nun zu bedeuten hat, erwache ich im Morgennebel auf dem Wilseder Berg. Ich fahre weiter, ganz langsam. Vielleicht nehme ich mir in Lüneburg, das sind vierzig Kilometer, ein Zimmer. Doch es läuft ganz passabel. Leichter Regen setzt ein. Ich genieße die Bewegung und die herbstlich grau-bunte Landschaft. In Lüneburg kaufe ich einen Merino-Buff und eine Merino-Mütze, denn beides habe ich am ersten Tag schon verloren, nur nachlässig auf dem Gepäckträger befestigt. Ein typischer „Demske“.
Ich esse noch eine warme Suppe und radle weiter bis an die Elbe bei Bleckede. Ich erinnere mich, dass mir Christina für meine Tour vor einem Jahr die Telefonnummer eines Freundes gegeben hatte, der in der Nähe dort in einem Wohnprojekt wohnt und mich beherbergen würde. Doch er ist leider nicht da, sondern auf Korfu. So radle ich noch ein Stück weiter, es hat aufgehört zu regnen, am rechten Elbufer, die letzte Stunde im Dunkeln, bis ich bei Laake an einem Angelteich einen Zeltplatz neben Tisch und Bänken finde.
Am dritten Tag geht es weiter, meist oben auf dem Elbedeich, vorbei an schönen Auenlandschaften und Auewäldern. Hübsche Häuser und Gehöfte gibt es auch. Ich bin wieder ganz bei Kräften, der Wind kommt von hinten und ich genieße meine Fahrt. Ich halte an einem Aufsteller, der selbstgepressten Apfelsaft anbietet. Der freundlche Herr, der aus Cuxhaven stammt, gibt mir noch einige Infos über die Region dazu. Ich komme eher weniger zu Wort.
In Wittenberge will ich zu Mittag essen, doch ich finde nichts. Stattdessen werde ich einmal blöd angehupt und ein Sattelschlepper versucht mich von der Straße zu drängen. Er denkt vermutlich, der Fußweg wäre ein Radweg. Der Ort wird also leider nicht zu meinem Freund und ich setze meine Fahrt auf dem menschenleeren Elbdeich bis kurz vor Havelberg fort und übernachte in einer kleinen Schutzhütte am Wegesrand.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, stellte ich fest, dass es doch eine kleine Herausforderung ist, direkt aus dem warmen Schlafsack hinaus in die kalte Luft aufzustehen. Das war mir so bislang noch gar nicht so aufgefallen. Ist zumindest gewöhnungsbedürftig und, wie es scheint, von meiner Tagesverfassung abhängig, denn so viel kälter, um die fünf Grad, ist es heute morgen nicht.
Diese Erkenntnis ist schon fast das Highlight des heutigen Tages. Unter grauem Himmel radele ich weiter die Elbe entlang die sich jetzt leider etwas monotoner präsentiert. Ich bin etwas gelangweilt und es stellt sich so etwas wie ein Routinegefühl bei mir ein. Nach der vielen Aufregung der letzten Zeit nicht das Allerschlechteste. Rehe hüpfen in großer Zahl, einmal zähle ich fast dreißig Stück, über die riesigen Ackerschläge. Gänse sind in noch viel größeren Massen unterwegs.
Ein älterer Herr am Wegesrand füllt mir meine Flaschen mit Leitungswasser, so dass ich gut bis Tangermünde kommen sollte. Ich überquere die Elbe auf einer riesigen Brücke mit viel Verkehr. In Tangermünde bekomme ich eine leckere Lasagne mit einem übersichtlichen Beilagensalat und genieße die hübsche Altstadt: Burg mit Elbblick, Kirche, Rathaus, Stadtmauer mit altem Turm.
Als es schon dunkelt, überquere ich bei Rogätz per Fähre die Elbe und steuere eine Schutzhütte an. Sie ist jedoch nicht aufzufinden. Also weiter zur nächsten Schutzhütte laut Karte, noch mal 10 km. Doch die ist viel zu verlärmt von einer nahen Autobahn. Weitere acht Kilometer zu einer Schutzhütte in einer Parkanlage kurz vor Magdeburg. Wirklich hübsch gelegen und nur gemäßigter Hintergrundlärm der nahen Stadt. Kein Mensch weit und breit.
Auch der vierte Tag beginnt mit einer Überraschung. Mit morgendlich verschwommenem Blick schaue ich auf mein Handy. Irgendwas mit 6 Uhr. Na gut, steh ich halt mal früh auf. Ein Busch wäre auch nicht schlecht. Danach schaue ich nochmal genauer. Es ist kurz nach fünf! Munter genug bin ich allemal, hab gut geschlafen. Also darf der Tag losgehen.
An Magdeburg radle ich vorbei – ich kenne die Stadt schon etwas von einem dreitägigen Arbeitstreffen - mein früheres Leben. Der Elbradweg ist okay. Bei Barby setze ich, einziger Passagier, mit der Fähre über. Der Saaleradweg, dem ich jetzt rund 400 km folgen will, ist ziemlich öde und langweilig. Ich hoffe, das ändert sich noch. Der Wind bläst so mittel, aber nicht mehr so schön von hinten und kühlt mich aus, kaum mache ich eine Pause.
Bernburg ist ein richtig schönes Städtchen und scheint auch lebendig. Ich habe mir ein Zimmer mit Badewanne reserviert und will hier einen Ruhetag einlegen.
Der Ruhetag in Stichworten. Ausgiebiges Frühstück. Fotos auf den Rechner laden, auswählen. Den Bericht über meine Weltreise auf meiner Webseite eröffnen. Einkaufen ist heute nicht, da Sonntag. Spaziergang zum Schloss bei Nieselwetter. Zum zweiten Mal komme ich am Theater vorbei. Läuft da heute was? Rusalka, eine Märchenoper von Antonin Dvorak. Es gibt noch Karten. In einer Stunde geht es los, Zeit für Kaffee und Kuchen. Rusalka, ein Wasserwesen, will lieber Mensch sein, verliebt sich auch noch. Das kann nicht gut gehen. Tolle Stimmen, Inszenierung in leuchtenden Farben.